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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gehauener Löwe saß. Neben dem Löwen öffneten sich die roten Knospen eines üppigen Rosenstocks. »So, da wären wir.« Sie stieg aus, um seine Reisetasche aus dem Kofferraum zu hieven. »Schönen Aufenthalt wünsch ich Ihnen.«
    Kilian rundete den Fahrpreis großzügig auf. Sie sah erstaunt auf den Schein und bedankte sich überschwänglich.
    Das Weingut war umsäumt von kerzengerade angeordneten Weinreben. Etliche Steintröge und Holzfässer waren mit bunt blühenden Blumen bepflanzt. Rosa und weißer Oleander verströmte einen heimatlich anmutenden Duft. Auch die graublauen Steinguttöpfe – ähnlich jenen, in denen seine Großmutter früher Sauerkraut und saure Gurken aufbewahrt hatte – ließen für einen flüchtigen Moment Bilder aus seiner Vergangenheit aufblitzen. Er ging die hohe Treppe hinauf und betätigte einen Türklopfer aus goldfarbenem Messing. Ein Löwenkopf. Ein junges Mädchen öffnete ihm. Vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Er dachte, sein Herz setze mit dem Schlagen aus. Wie vom Blitz getroffen starrte er sie an.
    »Herr Kilian?«, fragte sie stirnrunzelnd und mit einer Stimme, die ein Echo in ihm hervorrief. Melisande, dachte er. Melisande. Wie ist so etwas möglich? Seit wann werden Träume Wirklichkeit? Er spürte, wie sich in ihm etwas zu regen begann. Etwas, das lange Zeit geschlafen hatte.
    »Wo ist denn Mama?« Sie trat aus dem dunklen Rechteck heraus und sah ihm über die Schulter. »Hat Mama Sie nicht abgeholt?«
    Er konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Dichte, dunkle Wimpern umrandeten aquamarinblaue Augen. Eine schmale, fast knabenhafte Gestalt. Geflochtene hellbraune Zöpfchen, in denen Sonnenreflexe glänzten. Mit einer anmutigen Bewegung strich sie einen ihrer Zöpfe zurück. In ihrem Ohrläppchen glänzte ein niedliches goldenes Knöpfchen. Ein ovales Gesicht, das so wunderbar unschuldig wirkte. Und zugleich so verheißungsvoll. Im selben Augenblick dachte er: Reiß dich bloß zusammen, Kilian!
    Umständlich räusperte er sich. »Mich hat leider niemand abgeholt.« Er versuchte ein unbefangenes Lächeln und hoffte, dass es ihm gelang.
    »Oh, das tut mir aber leid.« Sie grub die Zähne in die Unterlippe. Zog die Augenbrauen zusammen. Das Aquamarinblau ihrer Augen verdunkelte sich. »Das ist mal wieder typisch«, formulierte ihr Herzmund, der ihn an eine reife Himbeere erinnerte. »Na ja, kommen Sie rein. Ich bin Hannah.« Lächelnd streckte ihm das Mädchen die Hand entgegen, die er augenblicklich ergriff. Eine zarte, weiche Mädchenhand. Bei ihrer Berührung dachte er einen wunderbaren Moment lang, er hielte das Paradies fest.
     

2
    Es gab durchaus Tage, an denen Kriminalhauptkommissarin Franca Mazzari ihren Beruf liebte. Sie empfand sich als gute Demokratin, die die Gesetze ihres Landes achtete und für gewöhnlich hielt sie sich daran, diese mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Auch stand sie dahinter, ihre Dienste für ein Land einzusetzen, in dem die Todesstrafe als menschenverachtend galt und dessen Rechtsprechung als Höchststrafe »lebenslänglich« vorsah – ein Urteil, das dann gefällt wurde, wenn ein Mensch einen anderen erwiesenermaßen mit Absicht getötet hatte.
    Ein solches Urteil hatte sie sich für den Angeklagten Julius Melzer erhofft – stattdessen war er gerade freigesprochen worden. Im Namen des Volkes. Obwohl sämtliche der mühsam zusammengetragenen Ermittlungsergebnisse dafür sprachen, dass Melzer seine Lebensgefährtin vorsätzlich umgebracht hatte. Doch weil ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachzuweisen war, hatte die Kammer »in dubio pro reo« entschieden.
    Franca Mazzari trat aus dem Gerichtsgebäude, verfluchte im Stillen die blinde Justizia und schüttelte fassungslos den Kopf. Da hatte man sich abgerackert, unzählige Zeugen befragt und alles akribisch festgehalten, bis sich aus einem unsäglichen Morast nach und nach brauchbare Mosaiksteinchen freilegen ließen. Diese hatte sie mit nervenzehrender Geduld aneinandergefügt und in die richtige Reihenfolge zu bringen versucht. Unendlich viele Überstunden waren da zusammengekommen, die in einem ganzen Berufsleben nicht mehr abgefeiert werden konnten. Und jetzt war alles für die Katz.
    Natürlich hatten sie und ihre Kollegen nicht sämtliche Mosaiksteinchen gefunden, dafür hatte Melzer bestens gesorgt. Aber das Fragment ergab ein klares Bild. Für diejenigen, die sehen konnten!
    Wäre sie Julius Melzer bei einem anderen Anlass begegnet, hätte sie ihn
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