Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anwältin der Engel

Titel: Anwältin der Engel
Autoren: Mary Stanton
Vom Netzwerk:
nicht die Absicht, die Telefonate in Anwesenheit dieser beiden Frauen zu führen. Andererseits erlaubte es ihr Gewissen auch nicht, Tante Cissys Freundin völlig auf dem Trockenen sitzen zu lassen. Sobald die Geschichte in den Abendnachrichten gebracht worden war, würden Carrie und ihre Tochter von Reportern belagert werden. Die Sache mit der Pfadfinderin war einfach zu herzergreifend, der Name Chandler zu bedeutend. Die beiden brauchten einen Anwalt, und zwar schnell. »Wenn ich irgendwo in Ruhe mit einigen meiner Freunde telefonieren könnte, werde ich versuchen, gleich einen Termin für Sie auszumachen.«
    Carrie zögerte einen Moment. »Lindsey wird zur Anklage vernommen werden. Ist das der richtige Ausdruck?«
    Bree nickte.
    »Das soll am Montag um zehn Uhr stattfinden. Heute ist Donnerstag. Das lässt uns nicht sonderlich viel Zeit, um jemand Neues zu finden.«
    »Wir können immer einen Aufschub beantragen«, erwiderte Bree. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich zum Telefonieren ins Arbeitszimmer gehe? Es dauert nur ein paar Minuten.«
    Es war zwar nicht so, dass sie sich fluchtartig davonmachte, aber sie trödelte auch nicht gerade herum. Die Spannung zwischen Mutter und Tochter, der geradezu unheimliche Ausdruck in Lindseys Augen – all das vergiftete die Atmosphäre. Was musste man denn für ein Kind sein, um einen Hund zu misshandeln, dessen Bein noch verletzt war? Sascha schien Brees Unbehagen zu teilen, denn er hielt sich dicht bei ihr und machte einen äußerst wachsamen Eindruck.
    Nachdem sie in der Halle ihre Aktentasche an sich genommen hatte, ging sie in Probert Chandlers Arbeitszimmer.
    Im Gegensatz zum Rest des Hauses machte dieses Zimmer einen nichtssagenden Eindruck, als hätte man die Einrichtung aus einem Katalog bestellt. Aufeinem Sideboard aus Ahornholz standen ein paar Tennistrophäen. Auf dem Schreibtisch befand sich ein Atelierfoto von Carrie-Alice, auf dem sie den gleichen Perlenschmuck und das gleiche Twinset wie heute trug. Die Bücher in den Regalen zerfielen in zwei Kategorien: zerlesene Taschenbücher mit Abenteuergeschichten um harte Jungs von Autoren wie Vince Flynn und gebundene Ausgaben von Handelszeitschriften mit Titeln wie Today’s Pharmacy und Drugstore Weekly . Die letzten Ausgaben datierten von vor vier Monaten. Auf dem Sideboard stand auch noch ein gerahmtes, verblichenes Farbfoto, auf dem der wesentlich jüngere Probert Chandler zusammen mit zwei anderen jungen Männern zu sehen war. Alle drei trugen die grässliche Kluft, die in den Siebzigern bei Studenten beliebt gewesen war: Schlaghosen, bestickte Westen und enge Hemden mit spitzem Kragen. Bree grinste in sich hinein. Über dem Bücherregal hing ein Ölgemälde, auf dem sich Carrie-Alice und Lindsey sowie zwei andere Kinder – sicher ein älterer Bruder und eine ältere Schwester – stehend um den sitzenden Probert herum gruppierten. Probert sah ganz genauso aus wie Harry Truman, inklusive der Nickelbrille. Carrie wirkte auf eine undefinierbare Weise unglücklich. Bei Lindsey hingegen hatte der Künstler das ausgemergelte Gesicht ignoriert und sie mit Wangen von gesundem Rosa versehen. Das Porträt kam Bree bekannt vor. Wahrscheinlich war es in den letzten Monaten in einer Zeitschrift wie Time oder People abgebildet gewesen. Bree betrachtete das Bild eine Weile. Lindseys ältere Schwester hatte etwas Matronenhaftes. Ihr Bruder sah selbstgefällig aus.
    Hinter dem Schreibtisch stand ein Bürostuhl aus Leder. Bree zögerte einen Moment, doch der einzige andere Stuhl im Raum war ein grün-gelb karierter Ohrensessel. Sie setzte sich, legte sich die Aktentasche auf den Schoß …
    Der Schlag kam völlig unvermittelt und traf sie direkt unter dem Herzen. Sie bekam keine Luft mehr. Versuchte vergeblich zu schreien. Schaffte es nur, mit den Fäusten um sich zu schlagen …
    Bree sprang vom Stuhl auf und fiel halb über den Schreibtisch.
    »Nein«, sagte sie.
    Sascha saß mit wissendem Ausdruck in den Augen hoch aufgerichtet da.
    » Nein! «, wiederholte Bree.
    Dann manifestierte sich vor ihr das flimmernde, grobkörnige, wie aus einem schlechten Schwarzweißfilm stammende Bild eines Mannes in mittleren Jahren. Um seine Füße züngelten lautlos Flammen. Er streckte die Arme nach ihr aus. Krallenbewehrte Klauen griffen nach seinem Gesicht, seiner Brust, seinem Haar … und versuchten, ihn nach unten zu ziehen.
    » Helfen Sie mir helfen Sie mir helfen Sie mir … «
    Probert Chandler.
    Dann war ein Flüstern zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher