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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Papageienschnabel, in dem sich eine fleischige Zunge bewegte. All das war aber nichts gegen das, was Mogens beim Anblick des Ungeheuers fühlte . Die Kreatur verströmte Feindseligkeit wie einen giftigen Geruch, der Mogens wortwörtlich den Atem abschnürte. Es war nicht einmal so sehr sein Äußeres, das Mogens bis auf den Grund seiner Seele entsetzte. Er hatte hässlichere und ungleich abstoßendere Geschöpfe zu Gesicht bekommen – aber niemals ein Wesen, das so durch und durch fremd war. Alles in ihm schrie gequält auf. Der Anblick der absurden Kreatur war so vollkommen falsch , dass sich jeder Deut von Mogens’ Menschsein einfach weigerte, auch nur die bloße Tatsache seiner Existenz zu akzeptieren.
    Graves fuhr mit einem gellenden Schrei herum und schlug mit seiner Lampe nach dem Koloss, kein bewusster oder gar überlegter Angriff, sondern ein blinder Reflex – mit katastrophalen Folgen. Die Lampe traf eine der hochgerissenen Scherenhände des Monsters und zerbarst. Blut von sonderbar falscher, unangenehmer Farbe spritzte, und bevor die Laterne endgültig erlosch, setzte sie einen Teil des Tentakelkranzes in Brand, der den Schädel der Albtraumkreatur säumte. Das Ungeheuer brüllte auf, ein schriller, zwitschernder Laut, eher wie das Trällern eines Vogels als wie ein Laut, den ein so offensichtlich dem Meer entstammendes Geschöpf ausstößt, wandte sich mit einem schwerfälligen Schritt vollends zu Graves um und streckte die grässlichen Scherenhände aus, in einer Bewegung, die langsam und schwerfällig wirkte, in Wahrheit aber so schnell war, dass das Auge ihr kaum zu folgen vermochte. Graves riss schützend die Arme vor das Gesicht, und die grausamen Krebsscheren schnappten nach seinen Armen und schnitten ihm beide Hände dicht unterhalb der Gelenke ab.
    Graves kreischte, ein einzelner, spitzer Schrei, der ebenso plötzlich wieder abbrach, starrte seine Armstümpfe an, aus denen Blut in zwei hellroten, pulsierenden Fontänen schoss, und kippte dann rücklings über Bord, und das Ungeheuer fuhr mit peitschenden Tentakeln und schnappenden Scheren herum und stampfte auf Mogens und die beiden Frauen zu. EinTeil seines Schädels und seine linke Schulter brannten, und in seinen Augen loderte eine Mischung aus Qual, Zorn und einem unstillbaren Hass auf alles Lebendige und Fühlende, die Mogens auf der Stelle lähmte. Dann …
    Es begann mit einem ganz sachten Erzittern, kaum mehr als ein flüchtiges Schaudern, das durch das Wasser lief. Die Erschütterung reichte nicht einmal aus, die Oberfläche des Sees zu kräuseln oder die schmale Kielspur der Barke zu zerstören.
    »Thomas«, sagte Miss Preussler leise.
    Wie um ihre Worte zu unterstreichen, lief eine zweite, heftigere Erschütterung durch den See. Selbst das Ungeheuer blieb stehen und sah irritiert – oder beunruhigt – den Tunnel an, aus dem sie gekommen waren. Hier und da begann das Wasser zu sprudeln, als wäre seine Temperatur schlagartig bis nahe an den Siedepunkt erhöht worden, und die Barke drehte sich jetzt nicht nur im Kreis, sondern begann spürbar zu schwanken. Mogens hielt instinktiv die Luft an und streckte gleichzeitig die Hände aus, um sich irgendwo festzuklammern, aber das Schwanken hörte auf, noch bevor er auch nur wirklich erschrecken konnte, und auch das sprudelnde Wasser beruhigte sich fast augenblicklich wieder. Die Fäden bewegten sich noch einen Moment unruhig wie Schilf, mit dem der Wind spielt, und kamen dann ebenfalls zur Ruhe.
    Die Stille, die folgte, kam ihm fast noch erschreckender vor. Sie war absolut – als hätte die Erschütterung einfach alle Geräusche aus der Welt herausgefegt.
    Sie hielt eine einzelne, schier endlose Sekunde an, als wäre die Zeit für die gleiche Spanne einfach stehen geblieben, dann knackte es hörbar in Mogens’ Ohren, die Kreatur machte einen weiteren, stampfenden Schritt in ihre Richtung, und ein ungeheures Brüllen schlug über ihnen zusammen. Der Wasserspiegel sackte von einem Sekundenbruchteil auf den nächsten um mehr als eine Handbreit ab, und die Barke kippte zur Seite und schlug nur deshalb nicht um, weil der Wald aus wehenden Fäden sie auffing. Dann war das Wasser ebenso plötzlich wieder da. Die Barke wurde regelrecht in die Höhe katapultiert, das Ungeheuer kämpfte mit wirbelnden Armen und gespreizten Beinen um sein Gleichgewicht, und dann verschwand das Licht.
    Es war nicht etwa so, dass ihre Laternen erloschen oder irgendetwas das graue Tageslicht verdeckte, auch wenn
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