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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland
Autoren: Jan Weiler
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was irgendeinen Wert darstellen würde.
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    Wirklich, ich habe keinen Schimmer, was das sein
    soll.»
    Der Beamte macht einen unentschlossenen Ein-
    druck. Er legt den Zahn auf den Tisch. Ich nehme ihn,
    gehe zu einem Abfallbehälter und halte ihn hoch.
    «Sehen Sie, mir liegt nichts daran, ich will es gar
    nicht einführen. Schmeißen wir es weg. So.» Dann las-
    se ich den Zahn des Stegosaurus aus dem New Yorker
    Naturkundemuseum in einen Mülleimer im Düsseldor-
    fer Flughafen fallen. Der Beamte lässt mich meine Sa-
    chen selber zusammenpacken. Ich beeile mich, und
    meine Reise ist zu Ende, als die Tür sich öffnet und ich
    meine Sara sehe.
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    FÜNFZEHN
    Ich schlage die Augen auf und liege neben meiner Frau
    in ihrem alten Kinderzimmer. Sie schläft noch. Wie
    klein es hier ist. Winzig klein. Es ist ein Gefühl, als leb-te man als Plastikmensch auf einer Modelleisenbahn,
    sein Leben lang dazu verdammt, so zu tun, als wartete
    man auf den Bus oder ginge zum Bäcker. Ich stehe auf
    und sehe aus dem Gaubenfenster auf kleine nasse Rei-
    henhausgärtchen mit Teichen und Laubhaufen und
    Gartenmöbeln, die unter Plastikplanen auf den nächs-
    ten Sommer warten. Keine Polizeisirene zu hören,
    wahrscheinlich schon seit Jahren. Ich gehe ins Bade-
    zimmer, das sehr danach riecht, als sei mein Schwie-
    gervater bereits aufgestanden. Die Mischung aus
    Mundwasser, Deo und vor allem sehr viel Eau
    D’Antonio erhebt in meiner Nase ihr grässliches
    Haupt. Ich sehe mich im Spiegel an und rieche an mei-
    nem T-Shirt. Es hat noch den eigentümlichen Flug-
    zeuggeruch, dieses transitorisch-elektrisch aufgelade-
    ne Klimaanlagenaroma. Als ich zum letzten Mal in ei-
    nen Spiegel geschaut habe, war ich noch im Flugzeug
    und putzte mir gerade die Zähne, nicht aus Reinlich-
    keit, sondern weil es für Gäste der Business Class
    Zahnbürsten und Zahnpasta gab. Ich wollte jeden Mo-
    ment dieses Fluges auskosten.
    293
    Gestern ging ich früh zu Bett, die Zeitverschiebung
    zwang mich dazu. Nun bin ich einigermaßen verwirrt.
    Keine Ahnung, wie viel Uhr es ist. Ich schiebe die Gardi-
    nen zur Seite und sehe, wie um mich zu vergewissern,
    dass es Tag ist, in den Garagenhof, wo riesige Pfützen
    darauf hindeuten, dass das Pflaster erneuert werden
    müsste. In dreißig Jahren ist es da und dort abgesunken
    oder angehoben worden, wohl von den vielen Baumwur-
    zeln, die sich aus den Gärten der Nachbarschaft wie Ten-
    takel unter dem Viertel erstrecken. Der Landschaftsskulp-
    teur Mauro Conti hätte hier eine Menge zu tun.
    Unser Empfangskomitee am Flughafen war in zwei
    Autos gekommen. Jürgen hatte sich extra eines gelie-
    hen. Wir fuhren im Konvoi zunächst zu Benno. Er
    wohnt in einem winzigen weißen Haus mit einem klei-
    nen Garten, in dem ein Hühnerstall steht. Er holte sein
    Gepäck mit unverschämter Leichtigkeit aus dem Kof-
    ferraum und machte eine knappe Verbeugung. Ich ließ
    die Scheibe herunter.
    «Gehst du heute noch zu deiner Mutter?»
    «Isch weiß nit. Vielleicht.»
    «Na, du kannst sie ja auch genauso gut morgen ab-
    holen.»
    «Sischer. Oder jar nit.»
    Damit drehte er sich um, schloss die Tür des Häus-
    chens auf und verschwand darin, ohne sich zu verab-
    schieden. Wir warteten noch kurz, ob er noch einmal
    herauskam, aber es passierte nichts, bis mit einem Mal
    aus allen Fenstern des kleinen Häuschens kleine Lämp-
    chen leuchteten.
    294
    «Was ist denn das?», fragte Sara mehr verwundert als
    neugierig.
    «Das sind Bennos Rauchverzehrer», sagte ich und
    genoss ihr Staunen.
    Eigentlich war gestern noch ein langes Abendessen
    vorgesehen, Lorella und Jürgen hatten es sich nicht
    nehmen lassen, Grünkernbratlinge und Sojaspros-
    sensalat anzurichten. Ursula machte beim Anblick
    dieses frugalen Albtraums einen leicht verhärmten
    Eindruck. Die vergangene Woche muss furchtbar ge-
    wesen sein. Jürgen öffnete aus Anlass unserer Rück-
    kehr sogar einen seiner allerletzten Weine, einen 96er
    Château Pichon-Lalande, den Antonio brüsk ver-
    schmähte, weil die Franzosen die Kunst des Weinan-
    baus von den Italienern gestohlen hätten. Er trank
    lieber Altbier.
    «Jetzt ist noch eine Flasche übrig», sagte Jürgen, die
    Farbe des Weines prüfend. «Ein Petrus. Der ist nach
    meinen Berechnungen morgen dran, schätze ich.»
    «Wieso morgen?», fragte ich.
    «Weil ich morgen einen Sohn bekomme», antwortete
    Jürgen und steckte seine Nase ins Glas.
    «Habt Ihr denn schon gepackt?», fragte Sara, «fürs
    Krankenhaus
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