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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland
Autoren: Jan Weiler
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fliegt raus, das gilt auch in der Business Class. Soviel ist mal klar. Aber mit Benno
    Tiggelkamp kann man sich nicht alles erlauben. Der
    Mann kommt vom Niederrhein, wo die Stirnplatten der
    Menschen doppelt so dick sind wie die Gehwegplatten.
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    «Bringen Sie Ihren Sitz in eine aufrechte Position»,
    ruft der Purser nun, und seine Stimme überschlägt
    sich.
    «Näää. Gute Nacht.»
    Ich fürchte, dass das Flugzeug gleich umkehren wird
    und wir aussteigen dürfen. Der Pilot gibt ordentlich
    Gas, der Purser verzieht sich auf einmal hastig auf sei-
    nen Platz, und das Flugzeug: hebt ab. Geschafft! Jetzt
    ist es definitiv zu spät, uns hier rauszuschmeißen. Ich
    strecke die Arme nach oben und rufe: «Yiiieehaaa.»
    Dann schlafe ich vor Erschöpfung ein. Als ich aufwa-
    che, gibt es Essen. Drei Gänge, dann noch Käse von ei-
    nem Wagen. Einen Cognac. Ich finde, das habe ich mir
    verdient.
    Die letzten Tage waren die aufregendsten in meinem
    Leben. Aufregung ist bei mir eher negativ besetzt. Nor-
    malerweise bemühe ich mich, sie zu vermeiden. Aufre-
    gend heißt für mich unvorhergesehen, gefährlich, ris-
    kant. Aber war es das wirklich? Ich habe schon am
    Flughafen deutsche Bundesgrenzschutz- und amerika-
    nische Zollbeamte und ihre Büros kennen gelernt. Ich
    bin von einem original New Yorker Cop auf den Boden
    geworfen und fixiert worden. Ich habe in einem winzi-
    gen Gärtlein in Queens Würstchen gegrillt, und ich
    weiß, wie der Zahn eines Stegosaurus aussieht. Ich
    habe mit Robert De Niro gegessen und in einer sagen-
    haften Suite gewohnt. Ich habe also Dinge gesehen, die
    kein Tourist sonst jemals zu Gesicht bekommt. Was ist
    daran negativ? Ich drehe mich zu Antonio um, der ge-
    rade den Pralinenteller abräumt, der ihm vor die Nase
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    gehalten wird, und schaue in sein zufriedenes Gesicht.
    Es macht mich richtig glücklich.
    Vor der Landung zieht Antonio sich wieder um, die
    Strümpfe lässt er im Flugzeug. Braucht er jetzt nicht
    mehr. Beim Aussteigen merke ich gleich, dass wir nicht
    mehr in Amerika sind: Die Luft ist ganz anders, der Ge-
    ruch ganz neutral, der graue Film ist weg. Auch scheint
    es im Düsseldorfer Flughafen viel heller zu sein.
    Es ist ein früher Novemberabend. Die Passkontrolle
    überwinden wir ohne Probleme, der Beamte schaut uns
    nicht einmal richtig an. Ich sammle unser Gepäck vom
    Band und staple die Koffer auf zwei Wagen. Benno be-
    steht darauf, seinen und Antonios Koffer zu schieben,
    und die beiden rollen vor mir durch die Zollkontrolle.
    Eine Tür öffnet sich lautlos, und weg sind sie. Ich will
    ihnen folgen, aber ein Herr mit schlechter Laune und
    autoritärem Gehabe stellt sich mir in den Weg.
    «Woher kommen Sie?», fragt er.
    «New York», sage ich müde. «Ich habe nichts zu ver-
    zollen.»
    «Kommen Sie bitte mal mit.»
    «Gerne», lüge ich und folge ihm in einen Raum, an
    dessen Wand ein langer Tisch steht.
    «Würden Sie bitte Ihren Koffer öffnen?», sagt der
    Mann. Ich öffne den Koffer und mache dann eine Ges-
    te, als habe ich ein Kaninchen aus einem Hut gezau-
    bert.
    «Bitte, bedienen Sie sich», sage ich und trete zurück.
    Der Typ nimmt meine schmutzigen Klamotten aus dem
    Koffer und stochert mit seinem Kugelschreiber in mei-
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    nen Sachen herum, als müsse man sich vor ihnen
    ekeln.
    «Warum haben Sie zwei Kulturbeutel in Ihrem Koffer?»
    Ach ja, der eine wird von Benno sein.
    «Den da habe ich für jemand anders mitgenommen.»
    «Für jemand anders. Dann wollen wir mal sehen.»
    Er öffnet Bennos speckigen braunen Kulturbeutel
    und holt seine zerrupfte Zahnbürste heraus. Eine Fla-
    sche Old Spice. Eine Tube Brisk. Hühneraugenpflaster.
    Odol-Spray. Peninsula -Badezusatz. Einen Saurierzahn.
    Einen Saurierzahn! Scheiße!
    «Was ist das?», will der Typ wissen. Jetzt hilft nur
    noch eins: Stell dich doof.
    «Was denn?»
    «Das hier.»
    «Keine Ahnung, darf ich mal sehen?» Er hält mir den
    Zahn entgegen. «Gehört mir nicht.»
    «Ich habe es aber in Ihrem Koffer gefunden. Was ist
    das?»
    «Wie gesagt, ich weiß es nicht.»
    «Für mich sieht das nach einem Zahn aus. Sie dürfen
    keine geschützten Tiere einführen. Und Zähne von ge-
    schützten Tieren auch nicht.» Und von ausgestorbenen
    Tieren sowieso nicht. Ist mir schon klar, Meister, den-
    ke ich.
    «Ich würde sagen, das ist ein vergammelter alter Bol-
    zen. Vielleicht von der Brooklyn Bridge.»
    «Da bin ich nicht so sicher.»
    «Es ist nichts, was ich absichtlich mitgenommen
    hätte oder
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