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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis
Autoren: authors_sort
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Gemetzeln des Winters
hier eintraf. Die Kameraden, die überlebt hatten, wußten
alle eine Geschichte zu erzählen. Die Sommermonate waren noch
angenehm gewesen, wißt Ihr, wo man gute Verpflegung hatte und
sogar Zeit fand, Cricket zu spielen, improvisiert zwar, aber streng
nach Reglement! Aber der Winter verwandelte die Straßen und
Schützengräben in Schlamm. Es gab nur Zeltplanen –
falls überhaupt –, und wenn die Männer etwas Schlaf
finden wollten, mußten sie sich dazu in den knietiefen,
gefrierenden Schlamm legen. Selbst die Offiziere lebten höchst
unkommod; wie kolportiert wird, mußten sie in den
Schützengräben ihre Säbel tragen, daß man sie
überhaupt vom gemeinen Infanteristen unterscheiden konnte!
Vater, das war in der Tat ein Soldatendasein ohne
Lagerfeuerromantik.
    Und natürlich war da auch die Dame Cholera, die sich von der
Anlegestelle in Varna zu allen Stützpunkten der Halbinsel begab.
Eine Choleraepidemie ist alles andere als spaßig, Sir, denn ein
Mann kann sich in wenigen Stunden von einem gesunden Soldaten in
einen ausgezehrten Schatten seiner selbst verwandeln, und am
nächsten Tag ist er tot. Daß unter solchen Umständen
die Disziplin und soldatische Haltung aufrechterhalten wurde, spricht
nur für die Stärke dieser Burschen; und ich wage zu
behaupten, daß der englische Soldat viel mehr leistet als der
französische, ungeachtet der angeblich besseren Verpflegung
unserer Alliierten.
    Aber ich habe indessen meine eigene Theorie zur Verpflegungslage,
Vater. Ich bin nämlich der Ansicht, daß die Franzosen
besser hungern können als die Engländer! Nimm einem
Engländer sein Roastbeef und Ale, und er wird murren, sich
hinlegen und sterben. Aber der Franzmann… ein Hauptmann Maude,
ein lebensfroher Mensch (der später nach Hause geschickt wurde,
weil eine Granate in seinem Pferd explodierte und sein Bein
zerfetzte), berichtete uns von einer Begebenheit, als er bei einem
Leutnant des französischen Heeres zum Abendessen eingeladen war.
Als er sich dem Zelt des Kameraden näherte, wurde unser Maude
von den Wohlgerüchen feiner Cuisine umschmeichelt, und im Zelt
hatte man einen Tisch improvisiert, ein sauberes Tischtuch
ausgebreitet, und dann wurde ein Drei-Gänge-Menü serviert!
Und als Maude seinem Gastgeber deswegen ein Lob aussprach, erfuhr er,
daß die Zutaten aller drei Gänge ausschließlich aus
Bohnen und einigen einheimischen Kräutern bestanden hatten!
    Noch Fragen?!
    Aber ich will mich indessen auch nicht über die Bedingungen
beklagen, unter denen die einfachen englischen Soldaten zum Zeitpunkt
meiner Ankunft leben mußten. Ich fand einen Speiseplan in einer
Hütte, die von einem türkischen Zug errichtet worden war.
Es gibt jetzt täglich Salzfleisch und Kekse, in der Tat
kärgliche Rationen im Vergleich zum heimischen Luxus, aber mehr
als ausreichend, um existieren zu können. Und gepanschter Fusel
ist uns auch nicht unbekannt, Vater. Bier ist schwer erhältlich
und zudem teuer – dies gilt jedoch nicht für Schnaps. Es
gibt da zum Beispiel ein Gift namens ›Raki‹, das von den
einheimischen Bauern bezogen werden kann. Mehr als einmal habe ich
Soldaten gesehen, darunter auch Offiziere, die betrunken von diesem
Zeug durch die Gegend getaumelt sind. Ein derartiges Verhalten wird
natürlich nicht gebilligt. In diesem Zusammenhang kann ich
erzählen, was einem prächtigen Kameraden unserer Kompanie
widerfahren ist, einem über sechs Fuß großen
Burschen, der ein guter Soldat war, jedoch der Trunksucht verfallen.
Das Antreten zur Bastonnade findet immer am frühen Morgen statt,
vor dem ganzen Regiment; in diesem Fall lag die Temperatur unter null
Grad, und es wehte eine stramme Brise. Unser Soldat wurde an
Händen und Füßen auf ein aus Bahrenstangen
gefertigtes Dreieck gebunden und der Rücken freigelegt. Ein
Trommler schwang die neunschwänzige Katze, während der
Tambourmajor die Streiche zählte. Vater, der Bursche schluckte
sechzig Hiebe ohne einen Laut, obwohl das Blut schon nach einem
Dutzend Schlägen floß. Als es vorbei war, richtete er sich
stramm auf und grüßte seinen Oberst. »Ein warmes
Frühstück, das Ihr mir an diesem Morgen serviert habt, Euer
Ehren«, meinte er; und dann wurde er ins Lazarett geschafft.
    In aller Bescheidenheit, Vater, ich melde, daß seit dem
Tage, als ich Euer Haus unter solch unglücklichen Umständen
verließ, kein Ton der Klage über meine Lippen gekommen
ist.
    Nun – ich kann Euren Aufschrei schier hören! –
werde ich Euch die
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