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Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne

Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne

Titel: Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
Autoren: Berte Bratt
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Gefühl beschlich sie, als sie durch das große Tor ging und die Treppe hinaufstieg. Sie fragte nicht nach dem Weg. An den Schildern konnte sie ihn ablesen. Ihre Augen achteten auf alles, wach und gespannt. So kam sie schließlich an die richtige Tür.
    Der Direktor hieß sie freundlich willkommen. Während sie in seinem Zimmer stand und ihm von ihrer bisherigen Schulbildung erzählte, klopfte es. Ein etwa siebzehn- bis achtzehnjähriger Junge kam herein, Anne sperrte die Ohren auf, als er zu reden anfing. Was war nur das für ein merkwürdiger Dialekt?
    »Na, da haben wir ja einen Vertreter unseres dänischen Brudervolkes«, sagte der Direktor. »Willkommen, Daell! Hier kannst du gleich eine Klassenkameradin kennenlernen - ihr kommt ja beide in die Unterprima der sprachlichen Abteilung. Also - das ist Jess Daell aus Kopenhagen, und das ist Anne Viken aus Hof Möwenfjord bei Fjordane! Stell dich mit Anne gut, Daell! Von ihr kannst du vielleicht in Norwegisch allerlei lernen.« Er unterbrach sich. »Ja, ehe ich es vergesse: Ihr seid sozusagen erwachsen - aber bei uns ist es nun mal üblich, die Schüler mit du anzureden. Habt ihr etwas dagegen? Nein? Dann ist’s gut.«
    Anne staunte wieder, wie so oft in den letzten drei Tagen, wie ungezwungen die Leute hier sprachen, wie leicht ihnen die Worte auf die Zunge kamen, wie sie es fertigbrachten, alles so zu sagen, daß es zu einem Scherz wurde. Sie mochte das gern - und gleichzeitig machte es sie verzagt. Sie würde nie so weit kommen, es ihnen nachzutun.
    Aber herrlich war es, daß sie nicht an dieses Du und Sie zu denken brauchte. Es war so gräßlich mühsam! Jetzt sagte der lange Däne Jess aber etwas, das sie aufhorchen ließ: »Ich soll Herrn Direktor von meinem Vater einen Gruß bestellen!«
    Anne spitzte die Ohren. Eine neue Schwierigkeit. Jess sagte weder »Sie« noch »Du«, sondern »Herr Direktor« - genau wie man zu Hause den Pfarrer nicht mit »Du«, sondern in der dritten Person anredete und »Herr Pastor« sagte. Sie lauschte und lernte. Und sie hütete sich, den Mund aufzumachen und mit Jess zu sprechen, bevor er sie nicht angeredet hatte. Das tat er auch endlich, als sie miteinander die Treppe hinauf zur Unterprima gingen.
    »Bist du auch neu in der Stadt?« fragte er kurz und knapp.
    »Ja, ich bin am Donnerstag gekommen. Ich bin noch nie in einer Stadt gewesen.«
    »Überhaupt noch nie in einer Stadt? I! Du meine Güte!« Anne sah ihn an. Sie mochte seine Stimme, mußte sich aber sehr zusammennehmen, um zu verstehen, was er sagte. Dieses Dänisch, so ähnlich es auch der »Reichssprache« war, klang ihr doch gar zu fremd.
    »Du bist sicher schon in vielen Städten gewesen?« erkundigte sie sich schließlich zaghaft.
    »Das kannst du mir glauben. Mein Vater ist Kapellmeister, und ich habe manche Reise mit ihm gemacht. Überall in Europa herum. Darum bin ich auch mit der Schule so zurückgekommen. Ich bin schon achtzehn.«
    »Und bleibst du jetzt hier in der Stadt?« Anne begriff selbst nicht, warum ihr der Gedanke lieb war, daß der lang aufgeschossene Däne Jess hier in der Stadt bleiben würde. Was hatte das schon für eine Bedeutung? Aber sie freute sich, als sie seine Antwort hörte.
    »Ja«, sagte Jess. »Mein Vater hat ein Engagement als Kapellmeister am hiesigen Theater bekommen. Und jetzt soll ich versuchen, mein Abitur auf Norwegisch zu machen.« Er lachte, als er das sagte, und Anne sah eine Reihe schimmernder Zähne. Sie kam sich selbst furchtbar redselig und mutig vor, als sie sich mit einer weiteren Frage vorwagte: »Du kennst vielleicht auch nicht so viele Leute hier in der Stadt?«
    »Ach doch. So was geht bei uns immer schnell. In so einer Stellung, wie mein Vater sie hat, hat man immer überall gleich viele Bekannte.« Er blieb vor einer Tür stehen. »Hier wären wir übrigens. Das ist die für uns reservierte Zelle im Bienenkorb der Gelehrsamkeit.«
    Anne riß Augen und Ohren auf. Dann lachte sie. Sie fand es unvergleichlich witzig, daß Jess den Klassenraum eine »Zelle im Bienenkorb der Gelehrsamkeit« nannte. Nein, so etwas! Sie war fest davon überzeugt, daß Jess mit seinem Wissen und seinen Einfällen ganz einzig in der Welt dastand.
    Er öffnete die Tür. Anne stand hinter ihm. Er trat beiseite, leicht und gewandt: »Apres vous, Mademoiselle.«
    Anne überlegte. Sie hatte ja ein Jahr Französisch gehabt und ahnte, was dieser Satz bedeutete. Aber sie ahnte nicht, daß viele Leute spaßeshalber solche ausländischen Sätze in die
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