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Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben

Titel: Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben
Autoren: Katherine Boo
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hat Zigaretten geraucht, direkt vor meiner Nase. Bipasha soll auch da gewesen sein, ich hab aber nicht rauskriegen können, ob das wirklich sie war oder irgend so ’n anderes Bollywood-Girl. Wenn nämlich der Manager dich erwischt, wie du Gäste anglotzt, schmeißt der dich sofort raus und behält den Lohn komplett ein – das haben die uns vor der Party zwanzigmal erzählt, als ob wir schwach in der Birne wären. Du hast ausschließlich die Tische und den Teppich im Auge zu behalten. Und wenn du ’n schmutzigen Teller oder ’ne Serviette siehst, hast du dir die zu schnappen und nach hinten zur Mülltonne zu bringen. Ach, und der Saal sah vielleicht toll aus. Am Anfang haben wir so ’n dicken weißen Teppich ausgerollt – da hast du bloß ’n Fuß draufgestellt und bist sofort eingesunken. Dann haben sie weiße Kerzen angezündet und alles dunkel gemacht, so wie in der Disko, und der Chefkoch hat auf den einen Tisch zwei riesengroße Delphine aus Eiskrem gestellt. Der eine hatte Kirschen als Augen –«
    »Du Idiot, lass doch mal den Fisch, erzähl mir von den Mädchen«, fiel Mirchi ihm ins Wort. »Die wollen doch, dass man sie anguckt, wenn die sich so anziehen.«
    »Nein, ehrlich, du darfst nichts angucken. Nicht mal die Klos von den reichen Leuten. Da scheucht dich sofort die Security raus. Aber die Personalklos waren auch toll. Da kannst du wählen zwischen indischem und amerikanischem Style.« Rahul mit seinem Hang zum Patriotismus hatte im indischen Stil gepinkelt, in einen Abtritt mit Loch im Boden.
    Inzwischen hatten sich noch andere Jungen vor der Hütte der Husains um Rahul geschart. Annawadier tratschten gern über die Hotels und all die verruchten Sachen, die da bestimmt abgingen. Einer von ihnen, ein drogenbenebelter Müllsucher, redete sogar
mit
den Hotels: »Ich weiß ganz genau, dass du mich umbringen willst, du verschissenes Hyatt!« Rahuls Erzählungen waren natürlich von anderem Kaliber, denn Rahul flunkerte nicht, oder höchstens einmal alle zwanzig Sätze. Deshalb und wegen seines fröhlichen Naturells nahmen ihm die anderen Jungen seine Privilegien nicht übel.
    Im Gegenzug räumte Rahul ein, dass er eine Null war, verglichen mit den Festangestellten im Intercontinental. Viele der Kellner waren hochgewachsen und hellhäutig und hatten einen Collegeabschluss und Hochglanz-Handys, die man auch als Spiegel benutzen konnte, um den Haarlook zu korrigieren. Ein paar Kellner hatten sich über Rahuls langen blaulackierten Daumennagel lustig gemacht, in Annawadi war so was bei Männern gerade der letzte Schrei. Nachdem er ihn sich abgeschnitten hatte, nahmen sie ihn wegen seiner Art zu reden hoch.
Sa’ab,
in Annawadi die ehrerbietige Anrede für einen reichen Mann, komme in den Reichenvierteln der Stadt nicht gut an, berichtete Rahul seinen Freunden. »Die Kellner sagen, damit klingt man fünftklassig – wie so ’n Strolch, ’n
tapori
«, erzählte er. »Korrekt heißt das
Sir.
«
    »Sirrrrrr«,
sagte jemand, mit endlos gerolltem R, und alle anderen machten es lachend nach.
    Die Jungen standen eng beieinander, obwohl der Maidan geräumig war. Menschen, die in engen Quartieren zu schlafen gewohnt sind, des einen Fuß in des anderen Mund und umgekehrt, muss direkter Hautkontakt einfach zur Gewohnheit werden. Abdul lief um das Grüppchen herum, er hatte einen Armvoll Kofferanhänger aus Pappe auf den Maidan gelegt und jagte hinter ein paar davonflatternden her. Die anderen nahmen keine Notiz von ihm. Abdul sagte sowieso nicht viel, und wenn er es doch mal tat, klang es, als hätte er wochenlang in aller Stille an einem kleinen Gedanken herumgefeilt. Er hätte durchaus auch ein, zwei Freunde haben können, er hätte dafür nur wissen müssen, wie man eine gute Geschichte erzählt.
    Einmal hatte er versucht, sein Defizit zu beheben, und in Umlauf gebracht, er sei auch schon mal im Intercontinental gewesen – da sei gerade ein Bollywood-Film gedreht worden,
Welcome,
und er habe Katrina Kaif gesehen, ganz in Weiß. Das war alles ziemlich dürftig zusammengedichtet. Rahul hatte es sofort rausgehabt. Rahuls eigener neuester Report enthielt allerdings wertvolle Informationen für Abdul, damit konnte er seine Märchen in Zukunft realistischer gestalten.
    Ein junger Nepali wollte mehr über die Frauen in den Hotels wissen. Er hatte mal durch einen Lattenzaun geguckt, und da hatten ein paar Frauen geraucht – »nicht bloß eine Zigarette, ganz viele« –, vor dem Eingang, wo sie auf ihre
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