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Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Lauren Oliver
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herumzubasteln und mit alten Maschinenteilen und der Funkerausrüstung zu spielen.
    »Was denn nun?« Ich hauchte die Scheibe an, malte einen Stern auf die beschlagene Stelle und wischte ihn wieder weg.
    Carol runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
    »Machen sie sich Sorgen? Oder schämen sie sich?« Ich hauchte erneut und malte diesmal ein Herz.
    »Beides.« Carol streckte schnell die Hand aus und wischte das Herz weg. »Hör auf damit.« Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
    »Es guckt doch keiner«, sagte ich. Ich lehnte den Kopf an die Scheibe, war plötzlich erschöpft. Ich fuhr nach Hause. Jetzt würde ich keine Pendler mehr anrempeln, nach leichter Beute tasten, die Mischung aus Beschämung und Begeisterung verspüren, wenn ich Erfolg hatte. Ich würde nicht mehr mitten in der Nacht hinter einem Paravent pinkeln und versuchen dabei niemanden zu wecken. Ich würde umgehend geheilt werden, wahrscheinlich noch diese Woche.
    Ein kleiner Teil von mir war froh. Aufzugeben bringt immer auch eine gewisse Erleichterung mit sich.
    »Warum bist du bloß so schwierig?«, fragte Carol.
    Ich drehte mich zu ihr um. Meine kleine Schwester. Wir hatten uns nie besonders nahegestanden. Ich hätte sie wirklich gerne geliebt. Aber sie war immer zu anders gewesen, zu vorsichtig, vorhersehbar – es war unmöglich gewesen, mit ihr zu spielen.
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Ich mache euch keine Schwierigkeiten mehr.«
    Den größten Teil der Fahrt zurück nach Portland über schlief ich, die Hände unter die Jacke gesteckt, die Stirn an die Scheibe gelehnt, und den Ausweis von Conrad Haloway in der rechten Handfläche.

jetzt
    Ich bin seit elf Jahren in Block sechs, mit nichts als alten Geschichten, alten Worten zum Trost. Habe mich durch Minuten gekratzt, die sich wie Jahre anfühlten, und Jahre, die mir wie Sand durch die Finger geronnen sind, verschwendete Zeit.
    Aber jetzt, wo ich darauf warte, dass Thomas mir das Signal gibt, stelle ich fest, dass ich keine Geduld mehr habe.
    Ich weiß noch, dass es genauso war, als ich mit Lena schwanger war. Die letzten zwei Wochen vor der Geburt kamen mir länger vor als der Rest der Monate zusammen. Ich war so fett und meine Knöchel so geschwollen, dass mich schon allein das Stehen große Kraft kostete. Aber ich konnte nicht schlafen, konnte nicht warten, und in den dunklen Stunden, nachdem Rachel und mein Mann eingeschlafen waren, lief ich. Ich ging in dem Zimmer auf und ab, das bald ihres sein würde: zwölf Schritte querdurch, zwanzig in der Diagonalen. Ich massierte meine Füße auf dem Teppich. Mit beiden Händen hielt ich mir den Bauch, der so fest war wie eine Kanonenkugel, und spürte ihre sanften Bewegungen, ihren Herzschlag, der schwach unter meinen Fingerspitzen pulsierte wie eine ferne Trommel.
    Und ich sprach mit ihr. Ich erzählte ihr Geschichten über mich, darüber, wer ich gewesen war und wer ich sein wollte, über die Welt, die sie bald betreten würde, und die Welt davor.
    Ich sagte, es täte mir leid.
    Ich weiß noch, dass ich mich einmal umdrehte und Conrad im Türrahmen stehen sah. Er sah mich an und in diesem Moment war da etwas Wortloses zwischen uns, etwas, das nicht direkt Liebe war, aber etwas so Verwandtes, dass ich manchmal daran glauben
konnte – vielleicht eine Art Verständnis.
    »Komm ins Bett, Bells«, war alles, was er sagte.
    Jetzt ist es wieder so, ich muss laufen. Ich kann mich sowieso nicht hinlegen, der Schlauch hat Blutergüsse auf meinen Beinen und meinem Rücken hinterlassen und schon die leichte Berührung des Lakens tut weh. Ich kann mich kaum überwinden zu essen, aber ich weiß, dass es nötig ist. Wer weiß, wie lange ich da draußen in der Wildnis sein werde, bevor mich die Kundschafter finden, oder ob sie mich überhaupt finden? Ich habe nichts weiter als ein paar Baumwollpantoffeln und einen Baumwolloverall. Und entlang des zugefrorenen Flusses liegen hohe Schneewehen; die Bäume sind kahl, die Tiere in ihren Verstecken.
    Wenn ich keine Hilfe finde, werde ich in zwei, drei Tagen tot sein. Aber ich sterbe lieber da draußen, in der Welt, die ich immer geliebt habe – sogar jetzt noch, nach allem, was sie mir angetan hat.
    Drei Tage vergehen ohne Nachricht. Dann ein vierter und ein fünfter. Die Enttäuschung ist ständig präsent, lähmend. Als auch der sechste Tag ohne ein Zeichen von Thomas verstreicht, verliere ich langsam die Hoffnung. Vielleicht ist er enttarnt worden. Ein weiterer Tag vergeht. Ich werde wütend. Er
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