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Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Lauren Oliver
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als die anderen und mit nichts weiter ausgestattet als einem verrosteten Metallring, der von der Decke hängt. Wenn die Insassen aus Block sechs zu laut sind, wenn sie Ärger machen, werden sie an den Ring gekettet und ausgepeitscht oder mit dem Schlauch abgespritzt oder auch einfach nur hier hereingeworfen. Dann sitzen sie tagelang im Dunkeln und beschmutzen sich, wenn sie mal müssen. Das Schlimmste ist der Schlauch: eisiges Wasser, das mit solcher Kraft herausschießt, dass es einem den Atem nimmt, einen grün und blau zurücklässt.
    Thomas macht alles genau so, wie er sollte. Er schließt mich an der Decke fest und als er über meinen Kopf greift, sind wir uns so nah, dass ich seinen Kaffeeatem riechen kann.
    Ich verspüre einen heftigen Druck im Magen, einen plötzlichen starken Schmerz; Thomas gehört trotz all der Risiken, die er auf sich nimmt, zur anderen Welt – der Welt aus Bushaltestellen, Tante-Emma-Läden und Sonnenaufgängen am Horizont; der Welt aus Sommertagen und peitschendem Regen und Holzfeuer im Winter.
    Einen Moment lang hasse ich ihn.
    Sobald er die Tür verschlossen hat, wendet er sich an mich.
    »Wir haben nicht viel Zeit, also hör mir gut zu«, sagt er. Mein Hass ist sofort verraucht, wird von einer Welle aus anderen Gefühlen ersetzt. Der dünne Thomas, der Junge, der manchmal bei uns zu Hause saß und vorgab zu lesen. Wie ist er zu diesem schwammigen Mann mit der ernsten Miene geworden, dessen Haare über seinen rosa Schädel gegelt sind und der tiefe Falten im Gesicht hat?
    Das ist es, was die Zeit tut: Wir stehen stur wie Felsen da, während sie um uns herumströmt, und glauben, wir seien unvergänglich – und werden doch unablässig eingekerbt, geformt und abgenutzt.
    »Es ist bald so weit. Diese Woche schon. Bist du bereit?«
    Mein Mund ist ganz trocken. Das Seil ist immer noch zwei Meter zu kurz. Aber ich nicke. Ich kann springen und mit etwas Glück lande ich im Wasser an einer tiefen Stelle.
    »Du gehst vom Fluss aus Richtung Norden und dann, wenn du den alten Highway erreichst, nach Osten. Da sind Kundschafter, die nach dir Ausschau halten. Sie werden sich um dich kümmern. Alles klar?«
    »Vom Fluss aus Richtung Norden«, sage ich. »Dann nach Osten.«
    Er nickt. Er sieht fast mitleidig aus und mir wird klar, dass er glaubt, ich würde es nicht schaffen. »Viel Glück, Annabel.«
    »Danke«, sage ich. »Das kann ich nie wiedergutmachen …«
    Er schüttelt den Kopf. »Dank mir nicht.« Einen Augenblick stehen wir nur da und sehen uns an. Ich versuche den in ihm zu sehen, der er mal war: den Jungen, den Rachel geliebt hat. Aber ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie Rachel war, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Seltsamerweise habe ich eher Erinnerungen an sie als ein Mädchen, das immer etwas herrisch war, immer wissen wollte, warum es nicht aufbleiben durfte und wozu es gut sein sollte, grüne Bohnen zu essen und was, wenn sie sowieso keinen Partner zugeteilt haben wollte. Und als Lena kam, kommandierte sie sie ebenfalls herum; Lena trottete hinter ihr her wie ein Welpe, mit großen Augen beobachtend, den dicken Daumen im Mund.
    Meine beiden Mädchen. Ich weiß, dass ich sie nie wiedersehen werde. Zu ihrem eigenen Schutz ist das nicht möglich.
    Aber es gibt einen kleinen, sturen, steinernen Teil in mir, der immer noch hofft.
    Thomas greift nach dem Schlauch, der zusammengerollt in der Ecke liegt. »Ich hab ihnen gesagt, du müsstest bestraft werden, damit wir reden können«, sagt er. Er sieht aus, als wäre ihm schlecht, als er die Düse auf mich richtet.
    Mir dreht sich der Magen um. Es ist Jahre her, dass ich das letzte Mal mit dem Schlauch abgespritzt wurde. Mir brach eine Rippe und ich hatte wochenlang hohes Fieber, trieb durch lebhafte Träume von Feuer und Gesichtern, die mich durch den Rauch anschrien. Aber ich nicke.
    »Ich mache schnell«, sagt er. Sein Blick sagt: Es tut mir leid.
    Dann dreht er das Wasser auf.

damals
    Das Mädchen an der Kasse sah mich mit großen Augen an.
    »Sie haben keinen Ausweis?«, fragte sie.
    »Wie gesagt, ich hab ihn zu Hause vergessen.« Ich wurde langsam hibbelig. Ich hatte Hunger – damals hatte ich ständig Hunger – und die Art, wie das Mädchen mich ansah, gefiel mir nicht. Mit ihren Glupschaugen und dem angeberischen Mullverband von ihrem Eingriff am Hals, als wäre sie eine Kriegsheldin und dies ihre Wunde, mit der sie das bewies.
    »Ist Haloway Ihr Partner oder was?« Sie drehte seine Kreditkarte hin und her,
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