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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Autoren: Leo Tolstoi
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zurechtgelegten Satze.
     
    Stepan Arkadjewitsch erkannte, daß Matwei einen kleinen Scherz machen und die Aufmerksamkeit auf sich lenken wolle. Er riß das Telegramm auf, las es, wobei er die, wie stets, entstellten Worte sinngemäß verbesserte, und sein Gesicht leuchtete auf.
     
    »Matwei, meine Schwester Anna Arkadjewna kommt morgen«, sagte er und hemmte für einen Augenblick die dicke, fettglänzende Hand des Barbiers, der dabei war, den rosigen Zwischenraum zwischen dem rechten und linken krausen Backenbart rein zu putzen.
     
    »Gott sei Dank!« rief Matwei und zeigte durch diese Antwort, daß er die Bedeutung dieses Besuches ebensowohl zu würdigen wußte wie sein Herr, indem er nämlich zuversichtlich glaubte, daß Anna Arkadjewna, Stepan Arkadjewitschs Schwester, die dieser sehr liebte, eine Versöhnung zwischen Mann und Frau werde zustande bringen können.
     
    »Kommt die gnädige Frau allein oder mit dem Herrn Gemahl?« fragte Matwei.
     
    Stepan Arkadjewitsch konnte nicht sprechen, da der Barbier mit seiner Oberlippe beschäftigt war, und hob einen Finger in die Höhe. Matwei nickte nach dem Spiegel hin mit dem Kopfe.
     
    »Allein. Soll ich oben alles instand setzen lassen?«
     
    »Melde es meiner Frau. Sie wird das Nötige anordnen.«
     
    »Der Frau Gemahlin?« fragte Matwei wie im Zweifel, ob er richtig gehört habe.
     
    »Ja, melde es ihr! Und da, nimm das Telegramm mit und gib es ihr, was sie wohl dazu sagt.«
     
    ›Das soll ein Fühler sein‹, dachte Matwei verständnisvoll; aber er antwortete nur: »Zu Befehl!«
     
    Stepan Arkadjewitsch war schon gewaschen und gekämmt und wollte sich eben ankleiden, als Matwei, mit seinen knarrenden Stiefeln langsam daherkommend, das Telegramm in der Hand, wieder ins Zimmer trat. Der Barbier war nicht mehr da.
     
    »Darja Alexandrowna hat befohlen, zu melden, daß sie wegfährt; sie sagte: ›Es kann alles eingerichtet werden, wie es ihm‹, das heißt Ihnen, ›genehm ist‹«, berichtete er; dabei lachte er nur mit den Augen, schob die Hände in die Taschen und blickte mit seitwärts geneigtem Kopfe seinen Herrn unverwandt an. Stepan Arkadjewitsch schwieg ein Weilchen. Dann erschien ein gutmütiges und etwas klägliches Lächeln auf seinem hübschen Gesichte.
     
    »Nun, Matwei?« fragte er und wiegte den Kopf hin und her.
     
    »Das ist weiter nicht schlimm, gnädiger Herr; es wird sich schon alles wieder einrenken«, erwiderte Matwei.
     
    »Du meinst, es wird sich wieder einrenken?«
     
    »Ganz gewiß.«
     
    »Meinst du? Wer ist denn da?« fragte Stepan Arkadjewitsch, da er auf der anderen Seite der ein wenig geöffneten Tür das Rascheln von Frauenkleidern hörte.
     
    »Ich bin es«, sagte eine fest und angenehm klingende weibliche Stimme, und in der Tür erschien das ernste, pockennarbige Gesicht der alten Kinderfrau Matrona Filimonowna.
     
    »Nun, was gibt es, liebe Matrona?« fragte Stepan Arkadjewitsch, indem er zu ihr an die Tür trat.
     
    Obgleich Stepan Arkadjewitsch seiner Frau gegen über durchaus im Unrecht war und dies selbst fühlte, waren doch fast alle im Hause auf seiner Seite, sogar die Kinderfrau, die sich mit Darja Alexandrowna außerordentlich gut stand.
     
    »Nun, was gibt es?« fragte er in bedrücktem Tone.
     
    »Sie sollten doch noch einmal hingehen, gnädiger Herr, und sich schuldig bekennen. Vielleicht hilft Gott. Sie quält sich sehr, es ist kläglich anzusehen, und im Hause geht alles drunter und drüber. Die Kinder, gnädiger Herr, die Kinder können einem leid tun. Bekennen Sie sich schuldig, gnädiger Herr! Was können Sie auch sonst tun? Wenn man etwas erreichen will, darf man sich keine Mühe verdrießen lassen.«
     
    »Aber sie wird mich gar nicht empfangen!«
     
    »Tun Sie nur das Ihrige! Gott ist barmherzig; beten Sie zu Gott, gnädiger Herr, beten Sie zu Gott!«
     
    »Na schön, geh nur!« antwortete Stepan Arkadjewitsch; er war auf einmal ganz rot geworden. »Nun, dann hilf mir beim Ankleiden«, wandte er sich an Matwei und warf mit einer entschlossenen Bewegung den Schlafrock ab.
     
    Matwei hielt bereits das Hemd, von dem er etwas Unsichtbares wegblies, in Form eines Kumtes zum Überstreifen bereit und hüllte mit sichtlichem Vergnügen den wohlgepflegten Körper seines Herrn darin ein.
     

3
     
    N ach dem Ankleiden besprengte sich Stepan Arkadjewitsch mit Parfüm, zupfte die Manschetten zurecht, steckte mit den ihm geläufigen Bewegungen in die einzelnen Taschen die Zigaretten, die Brieftasche,
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