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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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keiner dieser Berufe zu den Frühaufsteh-Berufen gehört. Um Ideen zu entwickeln und dann zu planen, wie man diese Ideen umsetzen kann, benötigen kreative Menschen Denkzeit, und zwar fernab vom Schreibtisch, vom Telefon, von den abertausend Ablenkungen des alltäglichen und häuslichen Lebens. Und das morgendliche Dösen im Bett ist eine der besten Zeiten dafür.
    Wieso um alles auf der Welt zeitiges Schlafengehen automatisch Reichtum und Glück garantieren soll, kann wohl durch nichts bewiesen werden. Ich bin Dr. Johnsons Ansicht, der selbstbewusst behauptete: »Jeder, der meint, vor zwölf zu Bett gehen zu müssen, ist ein Halunke.«
    Nein, die Frühaufsteher besitzen nicht Reichtum, Weisheit und Wohlergehen. Oft sind sie arm, blöd und krank. Sie dienen den Spätaufstehern. Wenn du mir nicht glaubst, dann schau dir in den Untergrundbahnen der Metropolen unserer großen Industrienationen – London, Tokio, New York – morgens zwischen acht und neun die verhärmten, verzweifelten Gesichter an. Gesund? Sicherlich nicht. Reich? Nein, sonst würden sie nicht um diese Zeit U-Bahn fahren. Und die am schlechtesten bezahlten Arbeiter sind meistens diejenigen, die am frühesten unterwegs sind. Weise? Wie können sie es sein, wenn sie dieses Verkehrsmittel wählen? Wenn du dir Gesundheit, Reichtum und Glück wünschst, dann wirf als erstes deinen Wecker weg!

9 UHR MORGENS
    Müh’ und Plagen
    Die feilen Straßen gehe ich,
Wo fließt der feile Themsefluss,
In jedem Antlitz sehe ich
Spuren von Gram und von Verdruss.
    William Blake , »London« (1724)
    Arbeit ist nicht unbedingt gut für den Menschen; Überarbeitung ist sehr schlecht für den Menschen; und beide beginnen oft aus einem schlechten Grund und führen zu einem bösen Ende. So mancher moderne Industrielle brüstete sich damit, so geschäftig wie geschäftstüchtig zu sein. Und es bedeutete wenig mehr, als dass er bereit war, sich abzuschuften wie seine Nachbarn, wenn er sich ihnen gegenüber als Schuft erweisen wollte.
    G. K. Chesterton , »The Idea of a Leisure State« (1925)
    Neun Uhr morgens ist sicherlich die brutalste und gefürchtetste aller Stunden im Tageslauf des Müßiggängers, denn es ist der Zeitpunkt, für den irgendwann irgendjemand mal beschlossen hat, dass da die Arbeit beginnen soll. Kurz vor 9 drängen sich in Bussen, Zügen, Trams und Straßen mürrische Berufstätige auf ihrem mühseligen Weg von einem Stadtteil in den anderen. Aufzüge seufzen unter Marketingchefs in weiten Jeans, Büromädchen mit dickem Make-up klappern durch Rezeptionen, frisch Eingewanderte mit Schutzhelmen kommen auf den Baustellen an, Diskogänger bringen sich mit Kaffee in Schwung, Verkäuferinnen warten vor dem Laden, dass der Chef mit den Schlüsseln kommt, Rolltreppen befördern uns aus einer stickigen Unterwelt nach oben und setzen uns in ebenso stickigen Büros ab. Wir lesen Zeitungen und werden unruhig. Wir haben Arbeit. Einen Job! Unseren Lohn nach jahrelanger Ausbildung! Wir haben in unserer Jugend schwer gearbeitet, um als Erwachsene wiederum schwer zu arbeiten. Ein Job! Der Höhepunkt unseres Lebens! Die Antwort!
    Die Vorstellung, dass der »Job« die Antwort auf alle Sorgen ist, individuelle oder soziale, ist eines der bösartigsten Märchen der heutigen Gesellschaft. Es wird von Politikern, Eltern, Zeitungsmoralisten und Industriellen auf der politisch Linken und Rechten verbreitet: das Paradies, sagen sie, ist die »Vollbeschäftigung«. Ein Schlüsselindex für den Erfolg eines Landes ist, wie viele Arbeitslose es gibt. Je mehr Menschen Jobs haben, desto besser, wird uns gesagt. Der Begriff »Job« wird den Teenagern oder Studenten selten genau erklärt, während sie auf dem Weg dorthin sind, aber der Mythos suggeriert uns, dass uns ein »guter Job« reichlich Geld, gesellschaftliche Kontakte, Ansehen und eine Arbeit einbringt, die wir »lohnend« finden werden. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig wir in Ruhe über diese Begriffe nachdenken, solange wir auf der Schule oder Universität sind. Und selbst wenn wir als Kinder jeden Abend hören, wie sich unsere Eltern über ihre Chefs oder Kollegen beklagen, es schreckt uns von der Welt der Arbeit nicht ab. Wir denken, für uns wird alles ganz anders sein.
    Wie es gemeinhin bei so allesbeherrschenden Vorstellungen der Fall ist, klafft eine breite Lücke zwischen den Erwartungen hinsichtlich des Jobs und seiner Wirklichkeit. Wenn wir in die normale Arbeitswelt eintreten, entsetzen uns sehr bald die
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