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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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Der Methodist John Wesley, der selbst jeden Morgen um vier aufstand, verfasste eine Predigt mit dem Titel »The Duty and Advantage of Early Rising« (1786), in der er erklärte, es sei ungesund, ausgiebig im Bett zu liegen, und seine Behauptung mit komischen pseudowissenschaftlichen Begriffen zu beweisen suchte: »Wenn es so lange zwischen warmen Laken weicht, ist das Fleisch, als wäre es halb gar gekocht, und wird schlapp und schwammig. Die Nerven sind unterdessen völlig schlaff.« 1830 veröffentlichte der einstige »Blaustrumpf« Hannah More den folgenden Vers über das »Early Rising«:
    Trägheit, du stiller Mörder, halte
meinen Geist nicht länger gefangen;
Und lass mich nicht noch eine Stunde länger
Mit dir vergeuden, Schurke Schlaf.
    Das ist sehr starker Tobak. More sieht in der Trägheit, der siebten Todsünde (ursprünglich war allerdings die Traurigkeit die siebente), einen Mörder der Zeit, der den Geist fauler Menschen gefangen hält. Gegen ihn ist anzugehen in einem männlichen Kampf aller Willenskräfte. Das ist natürlich eindeutig Unsinn: der Schlaf ist ein Freund, kein Verbrecher. Jeder weiß, dass der Geist des Menschen keineswegs eingekerkert, vielmehr am allerfreiesten ist, wenn wir am Morgen dösend im Bett liegen, wir werden später auf das schöpferische Potential dieses köstlichen Zwischenstadiums zurückkommen. Kreativität war freilich in viktorianischen Zeiten entschieden kein Modewort. Die Architekten der Industriellen Revolution mussten die Massen von den Vorteilen ermüdender, disziplinierter Arbeit überzeugen. Die Bücher des Bestsellerautors Samuel Smiles trugen Titel wie Self-Help (1859), Thrift (1875) und Duty (1880) und waren mit Moralpredigten wie obigen gespickt. Sauberkeit, Ordnung, gute Haushaltsführung, Pünktlichkeit, Opferbereitschaft, Pflicht- und Verantwortungsgefühl: diese »Tugenden« der Selbstverleugnung wurden über ein ausgeklügeltes Netzwerk von Moralisten, Schriftstellern und Politikern verbreitet.
    Wenn du meinst, heutzutage gebe es so etwas nicht mehr, dann wirf mal einen Blick in unsere Illustrierten und die unzähligen Artikel à la »Bringen Sie Ordnung in Ihr Leben«. Gönnerhafte Selbsthilfebücher erfreuen uns mit unterschiedlichen ausgeklügelten Strategien, die aus uns produktivere, seltener betrunkene und schwerer arbeitende Menschen machen sollen. Viele dieser Strategien sind mit hohen Geldausgaben verbunden. Männer- und Frauenzeitschriften schüren Ängste vor körperlichem Verfall, um uns in diese modernen Folterkammern namens Sportstudio zu treiben. Wir schuften den ganzen Tag und dann zahlen wir für das Vergnügen, auf einem Laufband zu rennen ! Reklamen für elektronische Terminplaner lassen durchblicken, dass das Gerät uns helfen wird, eine roboterhafte Perfektion zu erreichen; der Autor Charles Leadbetter hat kürzlich bemerkt, dass die Fantasie-Zeitpläne in den Reklamen für diese »Organizer« (als würde allein schon der Erwerb des Geräts unser Leben auf wundersame Weise organisieren) ausnahmslos mit der Zeile beginnen: »7 Uhr früh: Sportstudio.«
    Frühaufstehen ist nicht nur vollkommen unnatürlich, sondern ich würde auch behaupten, dass halbwach im Bett zu liegen – Schlafforscher nennen diesen Zustand »hypnagogisch« – für Gesundheit und Glücksempfinden eindeutig von Vorteil ist. Ein nettes morgendliches Dösen von einer halben Stunde oder länger kann einem zum Beispiel helfen, sich innerlich auf die vor einem liegenden Probleme und Aufgaben vorzubereiten. Dies war die Auffassung eines meiner Lieblingsphilosophen, Lin Yutang. Der chinesisch-amerikanische Autor des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts verbrachte viel Zeit mit dem Versuch, die im täglichen Arbeitskampf stehenden Amerikaner von der Stichhaltigkeit der gelassenen Philosophie des alten China zu überzeugen, die, wie er schrieb, zu »Freiheit und Unbekümmertheit« und zu einer »klugen und fröhlichen Lebensphilosophie« anregt. In seinem 1938 erschienenen Buch The Importance of Living widmet er der Kunst, im Bett liegen zu bleiben, ein ganzes Kapitel. Hier rät er dem Schüler der guten Lebensweise, sich gegen das Frühaufstehen zu Wehr zu setzen:
    Was macht es, wenn [jemand] morgens um acht im Bett liegen bleibt? Es ist tausendmal besser, wenn er sich eine anständige Dose Zigaretten auf den Nachttisch stellt, sich viel Zeit zum Aufstehen lässt und all seine Probleme des Tages löst, bevor er sich die Zähne putzt … In dieser bequemen Lage kann er
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