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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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scharf auf »Jobs«? Sie sind doch grässlich. Doch dazu später mehr.)
    Nach dem Wecker ist es an Mr. Kellogg, uns mit der Moralkeule zum Handeln anzutreiben. »Rise and Shine!« ermahnt er uns von der Cornflakes-Packung, »Steh auf und strahle!« Die körperliche Tätigkeit des Kauens von Cornflakes oder anderem Getreide wird in der Fernsehwerbung so dargestellt, als wirke bei trägen Menschen eine verblüffende Alchimie: Der nicht ansprechbare, unrasierte Faulpelz (schlecht) wird durch die positive Kraft des Korns auf wunderbare Weise in einen feschen und fidelen Arbeiter voller Vitalität und Entschlossenheit (gut) verwandelt. Kellogg selber war bezeichnenderweise ein puritanischer Gesundheitsfreak, der nie Sex hatte (er zog Klistiere vor). So sehen die Architekten unseres täglichen Lebens aus.
    Trotz aller Versprechungen der modernen Gesellschaft, dem Menschen Freizeit, Freiheit und Selbstbestimmung zu schenken, sind die meisten von uns nach wie vor Sklaven eines Stundenplans, den wir uns nicht ausgesucht haben.
    Wie ist es dazu gekommen? Tja, die Mächte des Anti-Nichtstuns sind schon seit dem Sündenfall am Werk. Die Propaganda gegen das Verschlafen reicht sehr weit zurück, über zweitausend Jahre, bis zur Bibel. Und so lauten Salomons Sprüche zu dem Thema:
    6 Gehe hin zur Ameise, du Fauler; siehe ihre Weise an und lerne:
    7 Ob sie wohl keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat,
    8 bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte.
    9 Wie lange liegst du, Fauler? Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf?
    10 Ja, schlafe noch ein wenig, schlummere ein wenig, schlage die Hände ineinander ein wenig, dass du schlafest,
    11 so wird dich die Armut übereilen wie ein Fußgänger und der Mangel wie ein gewappneter Mann.
    (Die Sprüche Salomonis.)
    Zunächst einmal möchte ich den Geisteszustand einer Religion ernsthaft in Frage stellen, die die Ameise als Beispiel dafür hinstellt, wie man leben sollte. Der Ameisenstaat ist eine ausbeuterische Aristokratie, die auf der unvorstellbaren Plackerei von Millionen von Arbeiterinnen und der totalen Untätigkeit einer einzelnen Königin und einer Handvoll Drohnen beruht. Sodann hält die Stimme Gottes dem armen »Faulen« vor, zu lange zu schlafen, und warnt, dass Armut und Hunger sein Lohn sein werden, wenn er noch länger im Bett liegen bleibt. Nichtstun ist Sünde, und der Sünde Lohn ist der Tod (und der Lohn für schwere Arbeit beträgt £ 22.585 pro Jahr, einschließlich der Londoner Ortszulage).
    Das Christentum hat dem schlechten Gewissen darüber, dass man zu lange im Bett bleibt, seit eh und je Vorschub geleistet. Diese Passage aus der Bibel wird von Moralisten, Kapitalisten und Bürokraten als Knüppel benutzt, um den Leuten einzuprügeln, dass es Gott missfällt, wenn man spät aufsteht. Sie passt zur Ordnungswut, die den Nicht-Müßiggänger kennzeichnet: Keine Zeit verlieren! Besser auf Trab sein, als nichts tun!
    In der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts quälte sich in London Dr. Samuel Johnson, der nicht den geringsten Grund hatte, sich wegen seiner literarischen Produktivität zu schämen, mit seinen faulen Angewohnheiten herum. »O Herr, befähige mich …, die Zeit wettzumachen, die ich in Trägheit verbracht habe«, schrieb er mit 29 Jahren in sein Tagebuch. Zwanzig Jahre später hat sich die Lage nicht gebessert, und er entschließt sich, »früh aufzustehen. Nicht später als um sechs, wenn ich es kann«. Im Jahr darauf, nachdem es ihm nicht gelungen war, um sechs aufzustehen, fasst er einen neuen Vorsatz: »Ich habe die Absicht, um acht aufzustehen, was dann immer noch nicht zeitig ist, aber es wird sehr viel früher sein als jetzt, denn oft bleibe ich bis zwei liegen.« Johnson, tief religiös und von melancholischem Gemüt, schämte sich seiner Trägheit. Aber fügte er damit irgendjemand anderem Leid zu? Tötete er jemanden? Zwang seine Trägheit Menschen, Dinge zu tun, die sie besser unterlassen hätten? Nein.
    Zu den arbeitssamen Viktorianern des späten achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts passte es, dass sie unter den arbeitenden Schichten die Sitte des Frühaufstehens förderten. 1755 veröffentlichte der Geistliche J. Clayton einen Traktat, »Friendly Advice to the Poor«, worin er argumentierte, frühes Aufstehen würde Unruhestifter von den Straßen fernhalten: »Frühes Aufstehen würde die Armen zwingen, beizeiten schlafen zu gehen, und so der Gefahr lärmender Feiereien um Mitternacht vorbeugen.«
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