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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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könne sie aber unmöglich widerlegen. Nie werde ich vergessen, wie flink Johnson antwortete, indem er mit dem Fuß kräftig gegen einen großen Stein trat, bis er selber dabei zurückprallte. »So widerlege ich das«, sagte er.
    Die Steinekicker haben natürlich Recht. Aber ebenso laufen wir Gefahr, die Welt der Träume gering zu schätzen oder zu ignorieren, und auch sie gibt es. Unter Träumen verstehe ich drei verwandte Phänomene:
    Erstens: die seltsamen Visionen und Geschichten, die uns im Schlaf im Kopf herumgehen.
    Zweitens: die halbbewussten Gedankenspaziergänge, die als Tagträume bezeichnet werden.
    Drittens: unsere Visionen einer besseren Welt, wie sie der Ausdruck »seinen Träumen folgen« impliziert. Manchmal auch »Spinnerei« genannt. Auf dem Weg zu einem ertragreichen Zusammenleben mit seiner Traumwelt ist der erste Schritt der, den ersten Traumtyp nicht länger zu ignorieren. Das Land der Träume ist der Ur-Cyberspace, unsere eigene angeborene geistige virtuelle Realität. Unsere Träume bringen uns in andere Welten, alternative Wirklichkeiten, die uns helfen, unser tägliches Leben zu verstehen. Träume sind eine Verbindung zu unserem Unterbewusstsein. Diese Verbindung muss gepflegt werden. Ist es nicht merkwürdig, dass eine Tätigkeit, die so viel Raum in unserem Leben einnimmt, so oft ins Reich des Bedeutungslosen verwiesen wird? Träume sind unser Fundament, unser Mittelpunkt. Höre auf sie.
    Träume halten die Welt in Bewegung. Unsere nächtlichen Träume füllen unser Unterbewusstsein mit seltsamen Reflexen des Tages. In unseren Träumen streift unser Geist frei umher; wir können fliegen, wir können singen, wir sind gut in vielen Dingen (ich träume zum Beispiel manchmal, dass ich ein brillanter Skateboardfahrer bin), wir haben erotische Begegnungen mit Prominenten (ich träume von Madonna; habe ich jedenfalls früher getan), die Gesichter der Leute verändern sich, während wir sie ansehen, ein Freund verschwimmt und wird zu einem anderen, wie in einem surrealistischen Gemälde. Dinge sind nicht das, was sie zu sein scheinen. »Es war mein Haus, aber es war auch wieder nicht mein Haus.« Wirklichkeit, Logik und Verstand fliegen aus dem Fenster. Und diese Suspendierung nüchterner Gesetze, das totale Fehlen an Selbstüberwachung können eine große Inspiration für den kreativen Geist sein. Die Klugen unter uns wissen das. Simone de Beauvoir zum Beispiel schrieb:
    Ich erwarte meine nächtlichen Abenteuer mit Freuden, wenn ich schlafen gehe; und mit Bedauern sage ich ihnen am Morgen Adieu … Sie sind eine der Freuden, die ich am meisten liebe. Ich liebe ihre totale Unberechenbarkeit und vor allem ihre Freiwilligkeit … Deshalb versuche ich oftmals am Morgen, sie wieder zusammenzubringen, sie aus den Schnipseln, die glitzernd, doch schnell verblassend hinter meinen Lidern schweben, wieder zusammenzusetzen.
    Für den surrealistischen Filmemacher Luis Buñuel waren Träume die Höhepunkte seines Lebens:
    Wenn mir jemand sagen würde, ich hätte noch zwanzig Jahre zu leben, und mich fragte, wie ich sie gern zubrächte, würde ich antworten: »Lass mir zwei Stunden pro Tag zum Arbeiten, und ich nehme die anderen zweiundzwanzig zum Träumen … vorausgesetzt, ich kann mich an sie erinnern.« Ich liebe Träume, selbst wenn sie Albträume sind, was gewöhnlich der Fall ist.
    Die zwei Stunden pro Tag waren vermutlich die, in denen Buñuel aus seinen Visionen Kunst machte. Robert Louis Stevenson benutzte seine Träume für die Fabeln und Personen seiner Geschichten. Kleine Kreaturen, die er Brownies (Wichtel) nannte, offenbarten ihm Geschichten. Er sagte: »Meine Brownies verrichten eine Hälfte meiner Arbeit, während ich fest schlafe.« Stevensons Brownies klingen ein bisschen nach den »schwatzenden Kobolden des Hyperraums«, die Terence McKenna als eines der Schlüsselerlebnisse nach der Einnahme der Droge DMT bezeichnet: mutwillige, übermütige, wahrheitsspendende Kobolde und Feen.
    Es gibt viele Beispiele für die kreative Kraft von Träumen: »Kubla Khan« fiel Coleridge in einem Traum ein, und Paul McCartney die Melodie für »Yesterday«. Die Idee für Frankenstein kam der jungen Mary Shelley in einem Wachtraum; Einstein hat gesagt, ein zündender Gedanke zu seiner Relativitätstheorie sei ihm im Traum gekommen; Descartes hatte einen Traum, der ihn auf die Spur seines gesamten philosophischen Systems brachte (er sagte, es sei die »wichtigste Liebesaffäre« seines Lebens gewesen).
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