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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Deutschen sind gerne Untertan, wenn man uns lässt. Während der hitzigen Diskussion, die nun folgte, saß ich leicht verärgert am Tisch, weil ich die Geschichte von unserem Grenzübertritt erzählt hatte, um zu zeigen, wie wunderbar die Haltung meiner Mutter war. An Angepasstheit hatte ich nicht gedacht. Am Ende sagte der Journalist, man könne auch in der Anpassung Würde zeigen, wie meine Mutter das getan habe. Alle stimmten zu, und ich war versöhnt mit jenem Abend.
    Es wurde eine grausige Fahrt, weil meine Schwester immer noch dringend auf Toilette musste, mein Vater sich aber weigerte, einen Parkplatz der DDR anzufahren. Sie hat sich in die Hose gemacht, das war leider so. Von dem Besuch bei meinen Großeltern und dem anschließenden Urlaub am Strand von Noordwijk erinnere ich vor allem, dass meine Tante, die Schwester meiner Mutter, bei einer größeren Familienzusammenkunft sagte: Der Randolph sagt ja nichts. Dies ist ein Satz, den ich in meinem Leben dann noch häufiger gehört habe, auch von Rebecca, meiner Frau.
    Von meiner Kindheit, und das ist für mich die Zeit im Foxweg, erinnere ich besonders gern die Besuche bei Ford Marschewski in Tempelhof. Zunächst war mein Vater dort Mechaniker, aber ich kenne ihn nur als Verkäufer, und ich war stolz auf ihn, um einmal den Satz zu zitieren, den er vor gar nicht so langer Zeit zu mir gesagt hat. Ich mochte es, dorthin zu fahren, allein mit dem Bus, weil ich die neuen Autos mochte, ihren Glanz, den Geruch von Metall, Leder, Gummi, das Tierische an ihnen, ihr stummes Stehen, aus dem in meiner Phantasie jederzeit eine wilde Jagd werden konnte, und mein Vater war der Herr über diese riesigen Raubtiere, auch wenn er nicht der Herr über diesen Laden war, wie ich wohl wusste. Das war Herr Marschewski junior, solange Herr Marschewski senior nicht da war, und ich sah ihn nie. Aber es war mein Vater, der die Verkaufsfläche dieses Ladens beherrschte, die Tiere dort, die anderen Verkäufer und die Kunden. Ich sah ihm gerne zu, wenn er gemessenen Schrittes von einem Wagen zum nächsten ging, zuerst die Modelle 17M oder 15M, später Consul, Capri, Granada, noch später Scorpio und Mondeo, aber da war ich nicht mehr stolz. Mein Vater wusste alles über diese Wagen, und die Leute damals in den sechziger Jahren waren bereit zu staunen, wenn ihnen ein Automobil erklärt wurde, weil es ihr erstes war oder sie die Ehrfurcht vor der Großtechnik noch nicht verloren hatten. Mein Vater war für mich kein Verkäufer, sondern ein Mann, der andere zum Staunen bringen konnte, so wie ein Zauberer vielleicht.
    Leider war er auch der Mann, der mich samstags mit zum Schießplatz des Sportschützenvereins nahm. Immerhin hatte ich verhindern können, dass er mich zum Jäger machte. Als Sechsjähriger saß ich mit ihm auf dem Hochstand und wartete auf ein Reh. Ich habe nur geweint, sodass er mich schließlich nach Hause brachte. Jäger musste ich nicht werden, aber Sportschütze. Jeden Samstag fuhren wir die Avus hinunter, nahmen die Ausfahrt Wannsee und folgten dem Bahndamm Richtung Süden. Auf der Rückbank lag ein Lederkoffer, der mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Ich erinnere nur noch wenig von diesem Schießplatz, und ich käme auch nicht auf die Idee hinzufahren, um mein Gedächtnis aufzufrischen. Wenn ich mich anstrenge, sehe ich eine Holzbaracke, wo man Würstchen kaufen konnte, und es gab zwei oder drei Schießstände, zudem eine Wiese, auf der Bogenschützen übten. Die erste Stunde war erträglich für mich. Mein Vater schoss, und ich trieb mich bei den Bogenschützen herum, schaute ihnen zu oder half dabei, die Pfeile, die ihr Ziel verpasst hatten, einzusammeln. Es war leise hier, also gut. Schrecklich wurde es, wenn mein Vater mich abholte, um mir das Schießen mit Handfeuerwaffen beizubringen. Das war sein Ziel: Sein ältester Sohn sollte ein guter Schütze werden. Da ich noch zu schwach war, um eine Pistole zu halten, wurde ein Sandsack auf das Brett vor mir gestellt. Ich war acht oder neun Jahre alt, ich war groß, aber schmal, ich setzte einen Gehörschutz auf, und mein Vater lud die Pistole, übrigens mit beinah zärtlichen Gesten, und gab sie mir. Ich war panisch. Ich hielt etwas in Händen, mit dem ich töten oder verletzen konnte, andere und mich. Es war laut, ich würde den Schuss trotz des Gehörschutzes deutlich hören, sogar schmerzhaft deutlich. Der Rückstoß würde mir die Arme verreißen, und das tat ebenfalls weh. Mein Vater würde meine Haltung
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