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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet
Autoren: Hermann Koch
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hätten diese beiden Größen – auf der einen Seite das Geld, auf der anderen das Essen – nichts miteinander zu tun, als würden sie in zwei komplett verschiedenen Welten existieren. Als hätten sie jedenfalls nichts nebeneinander auf einer Speisekarte zu suchen.
    Das hatte ich vor: Ich wollte die Namen der Gerichte lesen und mir danach die Preise daneben anschauen, aber mein Blick wurde von etwas auf der linken Seite der Karte angezogen.
    Ich stutzte, schaute noch einmal hin und suchte dann im Restaurant den Anzug des Maître d’hôtel.
    »Was ist denn?«, fragte Claire.
    »Weißt du, was hier steht?«
    Meine Frau sah mich fragend an.
    »Hier steht ›Aperitif des Hauses: 10 Euro‹.«
    »Ja?«
    »Das ist doch seltsam«, sagte ich. »Der Mann sagt zu uns: ›Der Aperitif des Hauses ist heute ein Champagner rosé.‹ Jedernormale Mensch meint doch, der Champagner rosé würde aufs Haus gehen, oder liege ich jetzt vollkommen falsch? ›Können wir Ihnen noch etwas ‚vom Hause‘ anbieten?‹ Das hat dann keine 10 Euro zu kosten, sondern gar nichts.«
    »Nein, warte mal, das muss nicht immer so sein. Wenn auf einer Speisekarte steht: ›Steak à la maison‹, also wörtlich Steak des Hauses, dann ist damit nur gemeint, dass es nach Art des Hauses zubereitet wird. Nein, das ist kein passendes Beispiel … Hauswein! Wein des Hauses, damit ist dann doch nicht gemeint, dass es den Wein gratis gibt?«
    »Gut, gut, das ist mir schon klar. Aber das hier ist wieder etwas anderes. Hier habe ich noch nicht einmal einen Blick in die Karte werfen können. Hier schiebt jemand in einem Dreiteiler einem den Stuhl zurück, stellt ein lächerliches Schälchen mit Oliven auf den Tisch und sagt dann als Erstes, was der Aperitif des Hauses heute ist. Das ist doch wirklich irreführend! Das klingt doch eher nach einer Einladung als nach zehn Euro? Zehn Euro! Zehn! Oder mal anders betrachtet. Hätten wir ein Glas schalen Champagner rosé des Hauses bestellt, wenn wir zuvor gewusst hätten, dass wir zehn Euro dafür zahlen müssen?«
    »Nein.«
    »Das meine ich damit. Das Geschwafel mit dem ›vom Hause‹ dient nur dazu, einen einzulullen.«
    »Ja.«
    Ich sah meine Frau an, aber sie blickte ernst zurück. »Nein, ich nehme dich nicht auf den Arm«, sagte sie. »Du hast vollkommen recht. Es ist tatsächlich etwas anderes als Steak oder Wein des Hauses. Ich verstehe jetzt, wie du das meinst. Es ist einfach seltsam. Es sieht fast so aus, als würden sie es extra machen und schauen, ob man in die Falle geht.«
    »Ja, nicht wahr?«
    In der Ferne konnte ich den Dreiteiler in Richtung Küche vorbeipreschen sehen; ich winkte ihn heran, doch das wurdenur von einem der Mädchen mit den schwarzen Bistroschürzen bemerkt, die zu unserem Tisch eilte.
    »Hören Sie sich das hier doch einmal an«, sagte ich, während ich dem Mädchen die Karte hinhielt. Schnell noch schaute ich zu Claire rüber – zur Unterstützung oder aus Liebe oder um einen verständnisvollen Blick zu erhaschen: Mit uns beiden konnte man sich keine Späßchen erlauben von wegen »Aperitif des Hauses« –, doch Claires Blick war auf etwas anderes hinter meinem Kopf gerichtet: auf einen Punkt, an dem sich, wie ich wusste, der Restauranteingang befand.
    »Da sind sie«, sagte sie.

[Menü]
    7
    Normalerweise wählt Claire immer den Platz mit Blick zur Wand, aber heute Abend hatten wir es genau andersherum gemacht.
    »Nein, setz du dich heute mal so hin«, hatte ich gesagt, als der Maître d’hôtel die Stühle für uns zurechtgerückt hatte und sie sich schon automatisch so setzen wollte, dass sie nur in den Garten hätte blicken können.
    Normalerweise bin ich es, der mit dem Rücken zum Garten sitzt (oder zur Wand, oder zur offenen Küche): aus dem einfachen Grund, weil ich alles sehen will. Claire opfert sich immer auf. Sie weiß, dass mir nichts an Wänden und Gärten liegt und ich lieber die Leute beobachte.
    »Nur zu«, sagte sie, während der Maître d’hôtel mit den Händen auf der Rückenlehne des Stuhles abwartete, dem Stuhl mit Blick ins Restaurant, den er eigentlich für meine Frau zurückgeschoben hatte, »dort sitzt du doch immer gerne?«
    Es ist nicht nur so, dass Claire sich für mich aufopfert. Sie hat eine Art innere Ruhe oder Reichtum, die dazu führt, dass ihr eine Wand oder offene Küchen ausreichen. Oder hier: ein paar Grasstreifen mit Kiespfaden, ein viereckiger Teich und eine niedrige Hecke auf der anderen Seite der Fensterscheibe, die vom Boden bis
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