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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet
Autoren: Hermann Koch
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Aktenordners konnte in seiner Freizeit plötzlich hinreißend Französisch parlieren, in der nächsten Wochenendbeilage der überregionalen Zeitung prangte dann auf der Vorderseite ein Farbfoto von ihm: mit gestrickten Topfhandschuhen präsentierte er auf einem Backblech einen provenzalischen Hackbraten. Besonders auffällig an der grauen Maus, von der Küchenschürze mit der Reproduktion eines Toulouse-Lautrec-Plakats einmal ganz abgesehen, war das vollkommen unglaubwürdige Lächeln, mit dem den Wählern die Kochfreude vermittelt werden sollte. Statt eines Lächelns wirkte es eher wie ein ängstliches Entblößen der Zähne. Die Sorte Lächeln, das man aufsetzt, wenn einem gerade jemand hinten reingefahren und man noch mit heiler Haut davongekommen ist, das vor allem aber auch die Erleichterung über die simple Tatsache verrät, dass der provenzalische Hackbraten nicht vollkommen verbrannt aus dem Ofen gekommen ist.
    Was war Serge genau durch den Kopf gegangen, als er sich das Hobby der Weinkennerschaft zugelegt hatte? Ich sollte ihn das eigentlich mal fragen. Vielleicht heute Abend. Ich machte mir in Gedanken eine Notiz, jetzt war nicht der passende Moment, aber der Abend war noch lang.
    Zu Hause hat er früher immer nur Cola getrunken, literweise, beim Abendessen wurde locker eine ganze Familienflasche geleert. Er produzierte dann voluminöse Rülpser, für die er manchmal aus dem Zimmer geschickt wurde, Rülpser, die zehn Sekunden oder noch länger dauerten – wie ein grummelnder unterirdischer Donner stiegen sie aus den Tiefen seines Magens auf. Sie verliehen ihm auf dem Schulhof eine gewisse Popularität, natürlich nur unter den Jungs, schon damals war ihm klar, dass Rülpser und Fürze Mädchen abschreckten.
    Der nächste Schritt war die Umfunktionierung einer ehemaligen Gerümpelkammer zum Weinkeller gewesen. Es wurden Regale angeschafft, um darin die Flaschen zu stapeln, reifen zu lassen, wie er es nannte. Während des Essens hielt er Vorträge über die verkosteten Weine, Babette nahm das allesmit einem gewissen Amüsement hin, vielleicht war sie eine der Ersten, die ihn durchschaut hatte, die ihn und sein Hobby nicht ganz ernst nahm. Ich weiß noch, wie ich einmal Serge anrief und Babette am Apparat hatte, die mir sagte, dass Serge nicht zu Hause sei. »Er ist im Loiretal und verkostet Wein«, erzählte sie. Da schwang etwas in ihrem Ton mit, die Art, wie sie »Wein verkosten« und »Loiretal« gesagt hatte, es war derselbe Ton, den eine Frau anschlägt, wenn sie sagt, ihr Mann müsse Überstunden machen, obwohl sie bereits seit einem Jahr weiß, dass er mit seiner Sekretärin fremdgeht.
    Ich habe bereits erwähnt, dass Claire klüger ist als ich. Sie nimmt es mir aber in keiner Weise übel, dass ich auf ihrem Level nicht mithalten kann. Ich will damit sagen, dass sie nie herablassend ist, sie stößt keine Seufzer aus oder rollt die Augen, wenn ich irgendetwas nicht sofort verstehe. Ich kann es natürlich nur vermuten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie, auch wenn ich nicht dabei bin, anderen Leuten gegenüber nie diesen Ton anschlagen würde, den ich in Babettes Stimme heraushörte, als sie sagte: »Er ist im Loiretal und verkostet Wein.«
    Es sollte bereits klar sein, dass auch Babette um einiges klüger als Serge ist. Das ist auch nicht sonderlich schwer, könnte ich dem noch hinzufügen – aber das tue ich nicht. Einige Dinge offenbaren sich ohne fremdes Zutun schon von allein. Ich gebe nur wieder, was ich während unseres gemeinsamen Essens in dem Restaurant gesehen und gehört habe.

[Menü]
    9
    »Das Lammbries ist in sardischem Öl mit Rucola mariniert«, sagte der Maître d’hôtel, der inzwischen bei Claires Teller angekommen war und mit dem kleinen Finger auf zwei winzige Fleischbröckchen deutete. »Die Sonnentomaten kommen aus Bulgarien.«
    Als Erstes fiel an Claires Teller die unendliche Leere auf. Na klar, ich weiß auch, dass in besseren Restaurants Qualität über Quantität geht, doch es gibt solche und solche leere Teller. Hier war das Prinzip der Leere deutlich auf die Spitze getrieben.
    Man hatte das Gefühl, der Teller würde einen dazu nötigen, diese Leere zu monieren und in der offenen Küche Nachbesserung zu verlangen. »Traust du dich ja doch nicht!«, höhnte der Teller und lachte einem ins Gesicht.
    Ich versuchte mich an den Preis zu erinnern, die günstigste Vorspeise lag bei neunzehn Euro, die Hauptgerichte bewegten sich zwischen achtundzwanzig und
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