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Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Titel: Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
Autoren: Angelika Mann
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fahre ich dich um.“
    Nur mit großem Glück konnten wir diesem Chaos entfliehen. Meinen Bruder hatten wir nicht gefunden. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig zu meiner Veranstaltung und hoffte, meinen kleinen Bruder später zu Hause ausfragen zu können. Es blieb bei der Hoffnung. Erst zweieinhalb Jahre später sah ich ihn wieder.
    Ecki war an diesem Tag, wie so viele andere, auf einen LKW verfrachtet und in das Polizeipräsidium in der Keibelstrasse gebracht worden. Dort mussten die Jugendlichen stundenlang mit den Armen abgestützt schräg an der Wand stehen. Wer aufmuckte, bekam Schläge. Davon hat er mir allerdings erst Jahre später berichtet. Meine Mutter wusste eine lange Woche gar nicht, wo ihr Sohn abgeblieben war. Erst nach sieben Tagen kam ein Polizist vorbei und teilte ihr mit, ihr Sohn sei in Untersuchungshaft im Polizeipräsidium in der Keibelstraße am Alexanderplatz. Ich war zu allem entschlossen und fuhr direkt dorthin. Beim Pförtner verlangte ich, meinen Bruder zu sehen. Ich kann wahrscheinlich froh sein, dass die mich nicht auch dort behalten haben.
    Meine arme Mama hat furchtbar gelitten, niemand konnte uns helfen. Während der Gerichtsverhandlung musste sie erleben, wie mein 16-jähriger Bruder, dessen „Verbrechen“ darin bestanden hatte, die Stones hören zu wollen, wie ein Schwerverbrecher in Handschellen in den Saal geführt wurde. Ich durfte nicht mit hinein. Ecki wurde zu einer Haftstrafe von ein bis drei Jahren verurteilt. Man brachte ihn in das Gefängnis Dessau, das sogenannte „Jugendhaus“. Von ehemaligen Häftlingen wird dieser Ort als „größte Folterkammer für Jugendliche“ nach dem Knast in Torgau bezeichnet. Meine Mutter durfte ihn einmal pro Monat besuchen. Das war jedes Mal eine Tortur. Wir hatten kein Auto, und so musste sie sich auf die Deutsche Reichsbahn verlassen. Die war nur in seltenen Fällen pünktlich. Es kam vor, dass sie erst zehn Minuten nach dem Termin das Gefängnis erreichte und dann mit allem, was sie ihrem Sohn mitbringen wollte, wieder nach Hause fahren musste.
    In dieser Zeit entwickelte sie, die ja sowieso einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte und nie ein Blatt vor den Mund nahm, einen unglaublichen Hass auf diesen Staat. Sie ging grundsätzlich nicht wählen,war nicht mal im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), den sie als den „verlängerten Arm der Partei“ bezeichnete. Ich wundere mich heute noch, warum die Stasi sie nie abgeholt hat. Aber sie war eine ausgezeichnete Krankenschwester. Solche Leute wurden in der DDR gebraucht. Von ihren Vorgesetzten und Kollegen wurde sie sehr geschätzt. Das kann man sogar in ihrer Stasi-Akte nachlesen.
    Meinen Bruder sah ich erst im Frühjahr 1972 wieder. Man hatte ihn aus dem Gefängnis direkt in den Westen verfrachtet. Dort landete er in München. Mein Cousin Peter kümmerte sich anfangs um ihn. Aber Ecki wollte schnellstens nach Westberlin, auch um uns nahe zu sein. Erstaunlicherweise verlief sein erster Besuch in Ostberlin reibungslos. Unsere Mutter war sehr glücklich, und wir beschlossen, bei seinem nächsten Besuch gemeinsam Ostern zu feiern. Sie kochte, zauberte eine Pasca, eine russische Süßspeise, natürlich gab es Eckis geliebten Käsekuchen und die Wohnung war wunderschön geschmückt. Wer nicht kam, war Ecki. Man hatte ihn diesmal nicht einreisen lassen, der souveräne Staat war nicht souverän genug. Meine Mutter brach völlig zusammen und wollte dieses Land am liebsten sofort verlassen. Sie machte ihrer Wut über diesen „Sklavenhalterstaat“ überall Luft und hielt es einfach nicht mehr aus.
    Ich litt mit ihr. Wenn sich damals die Möglichkeit geboten hätte, irgendwie in den Westen zu gelangen, wäre ich sicherlich gegangen. Allerdings nicht leichten Herzens. Der Grund dafür war nicht, dass ich die DDR so schön fand. Nein, bei mir tat sich Einiges. Nachdem die Beatles ihren Siegeszug durch die Welt angetreten hatten, gab es ja auch in der kleinen DDR kein Halten mehr. Überall taten sich junge Leute zusammen und gründeten Bands. Ich selbst zog mit meiner Freundin Margrit durch die Clubs. Berühmt waren der Gryphius-Club imFriedrichshain und der Knaack-Club im Prenzlauer Berg. Oft sind wir aber auch ins Feldschlösschen nach Zepernick gepilgert oder in den sogenannte Schuppen nach Bernau. Dort spielten samstags oder manchmal auch sonntags die Bands zum Tanz. Für uns war es das Größte, die Musiker kennenzulernen. Wir „brezelten“ uns nach unseren
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