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Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Titel: Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
Autoren: Angelika Mann
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ich kenne kaum jemanden, der sich in der Klassik so gut auskennt wie er. Eckis Lieblingsplatten waren das Weihnachtsoratorium und die Matthäus-Passion. Sonntags gab es bei uns zum Frühstück Glockenläuten aus dem Radio und die geliebte Bachmusik. Zum Mittagessen standen fast immer Thüringer Klöße auf dem Tisch, nachmittags Mamas leckerer Käsekuchen. Meine Mutter, ein sehr gesellige und gastfreundliche Frau, hatte oft Besuch, und auch wir fanden es ausgesprochen gemütlich bei uns.
    Außer Bach hörten wir natürlich auch andere Musik. Inzwischen gab es die Beatles, und wenn sie im Radio zu hören waren, kreischten wir zu Hause genau so wie die Teenies in London oder Amerika. Damit es so richtig dröhnte, steckten wir beim Singen den Kopf in das Wärmefenster des Kachelofens. Musikalisch war das eine unglaubliche Zeit. Ich begann, mich mehr für die sogenannte Beat-Musik zu interessieren als für Schlager. Die Bands schossen wie Pilze aus dem Boden, und wir führten stundenlange Debatten darüber, ob die Rolling Stones oder die Beatles die bessere Musik machten. Ichstand auf beide. Bei den Beatles faszinierte mich, wie sie sich aller Musikrichtungen bedienten und daraus eine völlig neue machten. Bei den Stones fand ich natürlich Mick Jagger ungeheuer sexy. Aber auch diese sehr wilde, ungebändigte Musik traf genau meinen Geschmack.
    Wir hingen in jeder freien Minute an unseren Kofferradios vom VEB Stern-Radio und trafen uns nach der Schule, um Musik zu hören. Zum Glück konnten wir in Berlin alle Westsender empfangen. Der RIAS wurde zwar vom Osten aus ständig gestört, aber das ignorierten wir einfach. Außerdem gab es den SFB. Und dann natürlich den berühmten FREIHEITSSENDER 904. In dessen Programm wurde immer behauptet, er wäre der einzige Sender in der Bundesrepublik Deutschland, der nicht unter Regierungskontrolle stünde. Das war natürlich gelogen. Dieser Sender stand in Burg bei Magdeburg und lockte die Zuhörer mit Westmusik. Zwischendurch wurden immer sehr geheimnisvolle Parolen ausgegeben wie „Meerschweinchen, heute droht der Adler“. Aber das hat uns nicht weiter gestört. Hauptsache wir konnten „unsere“ Musik hören.
    Am liebsten hörten wir den RIAS-Treffpunkt. Besonders gern am Samstagnachmittag, weil da Musikwünsche von Jugendlichen aus der DDR erfüllt wurden, die auf abenteuerlichen Wegen zum Sender gelangt waren. Im Herbst 1969 verkündete ein Moderator aus Jux und Dollerei, dass die Rolling Stones am 7. Oktober auf dem Dach des Springerhochhauses, spielen sollten.
    Der 7. Oktober war der Gründungstag der DDR und natürlich der bedeutendste Feiertag in unserem kleinen Land. Es gab, wie am 1. Mai, Militärparaden in der Karl-Marx-Allee und überall wurde gefeiert. Schon immer hatte man dafür gesorgt, dass unliebsame Jugendliche an diesem Tag nicht in die Stadt hereinkamen. Alles sollte schön ruhig und friedlich ablaufen.
    Nun sollte also ausgerechnet an diesem Tag dieses Stones -Konzert stattfinden. Das Springerhochhaus war vom Spittelmarkt aus gut zu sehen. Aus allen Ecken des Landes waren Jugendliche angereist und pilgerten nun dorthin. Zu dieser Zeit waren lange Haare, Jeans und Parka das absolut schärfste Outfit, das man sich unter den rockbegeisterten Jugendlichen vorstellen konnte, und so waren die Stones-Fans weithin erkennbar. Mein Bruder gehörte dazu und wollte das Konzert auf keinen Fall verpassen. Unsere Mama hat verzweifelt versucht, ihn umzustimmen, aber Ecki war wild entschlossen, die Stones zu sehen. Ich auch. Ich musste aber am Abend zum Tanz in der Bersarinstraße im Jugendclub „Jochen Weigert“ spielen und hätte aus Zeitgründen den „Ausflug“ zum Spittelmarkt nicht geschafft. Also fuhr ich mit meiner Freundin früher als nötig los, um vielleicht meinen Bruder zu finden und von da wegzulocken. Als wir am Spittelmarkt ankamen, war dort die Hölle los: Der Platz war grün und blau. Grün war die Parka-Fraktion und blau waren die bestellten FDJ-Massen, deren Aufgabe es war, die renitenten Jugendlichen zusammen- und wegzutreiben. Wir gerieten in einen solchen Kreis von FDJlern, die uns auch sofort als Ami-Nutten beschimpften. Mir wurde Angst und Bange. Es gab Polizeiketten und Hundestaffeln. Die Polizisten waren mit Gummiknüppeln bewaffnet, man dachte, ein Krieg wäre ausgebrochen. Irgendwann war mir schlecht und ich setzte mich an den Straßenrand. Sofort kam ein Polizist auf einem Motorrad und brüllte: „Wenn du hier nicht sofort verschwindest,
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