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Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)

Titel: Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
Autoren: Angelika Mann
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so gegen neun Uhr, klingelte das Telefon. Eine Freundin meiner Mutter rief aufgeregt in den Hörer: „Lüttchen, mach schnell die Mutti wach. Die haben die Grenzen zugemacht.“ Meine Mutter schrie auf. Sie bekam fast einen Herzinfarkt und wollte sofort los. Sie hatte ja im Jüdischen Krankenhaus ab 14 Uhr im inzwischen abgeriegelten Westteil der Stadt Dienst. Daraus wurde für die nächsten Jahre nichts. Ein sehr netter Nachbar nahm uns am Nachmittag mit ins Grüne, um diese neue Lage ohne Mitlauscher zu besprechen. Die Menschen wagten ja kaum, sich in ihren Wohnungen oder in der Öffentlichkeit zu unterhalten. Wir lebten in ständiger Angst.

■ Wieder bei Mama
    Nach dem Bau der Mauer war es nicht mehr nötig, dass ich im Kinderheim blieb. Meine Mutter bekam Arbeit in einer TBC-Heilstätte in Zepernick. Sie konnte mit dem Fahrrad dorthin fahren und hatte auch keinen Schichtdienst mehr.
    Ich war inzwischen zwölf Jahre alt und kam schon ganz gut allein zu Hause zurecht, mein Bruder blieb allerdings noch im Heim. Ich wurde in die vierte Oberschule in Berlin-Buch umgeschult. Ein schönes Backsteingebäude. Zum Glück hatte ich eine Freundin, die uns gegenüber wohnte und in deren Klasse ich kam. So habe ich mich dort schnell eingewöhnt.
    Unser Klassenlehrer hieß Manfred God. Ich hätte meiner Tochter von Herzen einen so tollen Lehrer gegönnt. Herr God gab Mathe, Deutsch und Musik. Mathe war nicht so mein Ding, aber in den beiden anderen Fächern konnte ich glänzen. Bei ihm machte der Musikunterricht wirklich Spaß und in dem von ihm geleiteten Schulchor habe ich mit großer Begeisterung gesungen. Unser Repertoire war recht anspruchsvoll: „Ihr Römer, hört die Kunde“ aus Wagners Oper „Rienzi“ schmetterten wir aus der Schulaula hinaus in die Welt.
    Dann gab es noch Herrn Bartholz. Der war todschick und immer sehr lustig. Alle Mädchen schwärmten für ihn, ich natürlich auch. Um ihm öfter nahe zu sein, besuchte ich fleißig den von ihm geleiteten Zeichenzirkel. Mein größtes Werk war der Kopf eines Soldaten, ein Relief. Irgendwo muss das Ding heute noch herumliegen.
    Ich bin gern in diese Schule gegangen. Man hat uns mit dem ganzen politischen Kram nicht allzu sehr genervt. Aber das Interesse der Lehrer an uns und auch das Miteinander der Schüler war anders, als ich das später in der Schulzeit meiner Tochter beobachten konnte. Der Klassenlehrer machte Hausbesuche und bekam so mit, welche Probleme seine Schüler außerhalb der Schule hatten. Und wir als Klasse hielten zusammen. Wenn ein Schüler in seinen Leistungen nachließ, gab es andere, die die „Patenschaft“ übernahmen, mit ihm lernten und Schularbeiten machten. Noch heute organisieren wir ab und zu Klassentreffen. Dann ist es, als wären wir erst gestern auseinander gegangen.

■ Bach und Beat
    Wenn ich aus der Schule kam, flog die Mappe in die Ecke, und dann ging es erst mal ran ans Klavier. Es gab Zeiten, da habe ich acht Stunden am Tag geübt. Ich hatte eine neue Klavierlehrerin, Fräulein Schulz. Sie unterrichtete mich in ihrer Wohnung in der Rodenbergstraße im Prenzlauer Berg und hat mich mächtig gefordert. Wenn ich nicht fleißig geübt hatte, schlug sie mir gern mit einem Packen Noten auf den Kopf. Da war es doch klüger, gut vorbereitet zum Unterricht zu erscheinen. Fräulein Schulz war ungefähr Mitte 50 – für mich damals natürlich uralt. Aber sie hatte Temperament und erkannte, wo meine Stärken lagen. Hin und wieder gab sie Gesellschaften in ihrer Wohnung. Da konnten wir Schüler zeigen, was wir gelernt hatten. Ich habe mich auf diese kleinen Privatkonzerte immer sehr gefreut, hatte überhaupt kein Lampenfieber und war gierig darauf, mich endlich am Flügelzu beweisen. Das ist bis heute so. Man sagt ja, ein Künstler ohne Lampenfieber wäre keiner. Ich habe diese Erscheinung nur ganz selten. Eigentlich nur dann, wenn ich noch nicht textsicher bin. Meistens aber kann ich es gar nicht erwarten, auf die Bühne zu kommen.
    Nun lebte ich also wieder zu Hause und meine Teenagerjahre begannen. Meine Kinderheim-Freundin Myriam besuchte mich oft, wohnte sogar zeitweise bei uns. Irgendwann durfte auch mein Bruder für immer zu Hause bleiben – leider nicht für lange Zeit. Ecki war schon als Kind ein ausgesprochener Fan von Johann Sebastian Bach; das lag sicher daran, dass unsere Mama uns häufig Bach-Musik vorspielte. Vielleicht waren auch die Gen schuld. Mein Vater hat neben seiner Tätigkeit als Arzt immer auch Musik gemacht und
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