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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition)
Autoren: David Barnett
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Touristenschar auf und sieht erst mich und dann den Verkäufer an, der daraufhin im Gewimmel verschwindet. »Jesus, ich dachte schon, ich hätte dich verloren. Womit hast du denn diesen Typen so aufgeregt?«
    »Ihn aufgeregt? Ich habe kein Wort gesagt. Er wollte mir irgendwas verkaufen und dann … also, ich weiß nicht, was er gemacht hat.«
    Karla blickt mich einen Augenblick von der Seite an. »Komm weiter, ich bringe dich nach Hause. Bist du sicher, dass du nichts zu ihm gesagt hast?«
    Ich erlaube ihr, meine Hand zu nehmen und mich in eine Seitenstraße abseits des Getümmels zu führen. »Nicht ein Wort. Aber was hat er denn eigentlich zu mir gesagt?«
    »Ich kann gerade genügend Tschechisch, um es in eine Kneipe zu schaffen und mich dort zu betrinken. Ich hab nicht verstanden, was er gerufen hat. Aber diese Geste lässt sich kaum missdeuten. Wenn ich das jetzt nicht völlig falsch verstanden habe, dann hat er dich eben mit dem bösen Blick belegt.« Dann lacht sie und führt mich in ein Labyrinth aus Kopfsteinpflastergassen zum Prager Haus.
    Das Haus steht allein und irgendwie deplatziert an einer Ecke und passt nicht so ganz zu den anderen Gebäuden, die scheinbar willkürlich um es herum errichtet wurden. Von der Straße aus betreten wir einen überwucherten schmalen Durchgang. Die verschlossenen Fenster verraten nichts. »Wo ist die Tür?«, frage ich.
    Karla fischt einen Schlüsselbund aus ihrem Rucksack. »Eine eigentliche Haustür gibt es nicht. Das ist das Schöne an diesem Ort. Man kann nur auf diese Weise hineinkommen, und wenn wir dich nicht hereinlassen wollen, dann kommst du auch nicht weiter.«
    Sie ist vor einem großen Holztor stehen geblieben, das fest in der abblätternden, vergilbten und gut sechs Meter hohen Mauer verankert ist, die das Grundstück offenbar umgibt. »John hat diesen Ort gefunden«, sagt sie, während sie einen der Schlüssel ins Schloss steckt. »Gott weiß, wie er das gemacht hat. Und die Miete, die wir hier bezahlen … Dafür könnte man sich in der Neustadt oder sogar in Žižkov oder Karlín nicht mal einen Schuhkarton leisten.«
    Sie führt uns in den Garten, ein duftiges romantisches Plätzchen, wo der Stadtlärm, der Verkehr und die gehetzten schrillen Stimmen der Touristen aufhören zu existieren. Als ob dieser Garten ein Vakuum wäre, das die Geräusche der Außenwelt aufsaugt. Unwirklich.
    »Komm weiter«, sagt Karla und geht auf die kunstvolle Türöffnung zu, die sich in der Mitte des alten Hauses befindet. »Dann wollen wir mal sehen, wer zu Hause ist.«
    Die Tür öffnet sich zu einem großen Wohnzimmer, und ich bin plötzlich ganz verblüfft, mehrere Leute darin zu entdecken.
    Ich bleibe im Eingang stehen, fühle mich irgendwie unwohl in Karlas abgelegten, schlecht sitzenden Klamotten. Sie bemerkt mein Zögern, fasst nach meinem Handgelenk und schleift mich in den Raum. Ein junger Mann in Karlas Alter blickt argwöhnisch zu uns auf. Er hat langes Haar und sitzt über eine Gitarre gebeugt, auf der er leise herumklimpert. »Noch mehr heimatlose Straßenkinder, Karla?«, sagt er, ohne mich anzusehen. Er spricht Englisch, aber mit einem Akzent. Amerikaner. Sie wirft ihm einen Blick zu. Das also, vermute ich, ist Cody.
    Hinter ihm steht ein Mann, der sich an den Rücken des großen, abgewetzten und den Raum dominierenden Sofas gelehnt hat und Cody dabei hilft, seine Finger auf den Gitarrenhals zu platzieren. Er hat lockiges Haar und ein strahlendes Lächeln. »Wie sieht es aus, Karla?«, fragt er und blickt mich an. »Noch jemand für das Sonntagsdinner?«
    Im hinteren Teil des Zimmers lümmelt ein großer dünner Mann mit Bartansatz und zotteligem dunklen Haar auf einer verstaubten, roten Chaiselongue herum. Er zieht begierig an einer selbst gedrehten Zigarette und winkt uns träge zu, sagt aber nichts. Stattdessen starrt er angestrengt auf die verwelkten Blumen, die auf einem niedrigen, polierten Tisch in einer Vase vor sich hin dümpeln. Aber vielleicht sieht er auch zu dem kistenähnlichen, schlafenden grauen Fernseher hinüber, der eingezwängt in der Ecke steht. Am Rande meines Blickfelds sehe ich eine angelehnte Tür, die in einen Nebenraum führt.
    Karla wirft ihren Rucksack in die Ecke und bleibt auf dem fadenscheinigen Teppich vor dem Kamin stehen. »Sagt mal, Jungs, ist Jenny zu Hause? Ich möchte, dass sie mal einen Blick auf … äh …« Sie sieht mich an. »Also, er hat keinen Namen. Ich habe ihn im Letná Park gefunden, er hat sein Gedächtnis
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