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Angela Merkel

Titel: Angela Merkel
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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einen weiteren Mangel bestätigt. Auch in der Krise wandte sie sich nicht mit einer großen Rede an die Bevölkerung. Ich habe mal nachgefragt, ob an einer solchen Rede gearbeitet werde. Es sei jetzt nicht die Zeit dafür, hieß es, zu viel andere Arbeit, später. So wurde Warten auf Angela Merkel ein großer Sport für alle Beobachter ihrer Kanzlerschaft.
    Inder Krise wurde sie vom Rätsel zum Typus. Ihre Entschlossenheit während des Leipziger Parteitags erschien nun endgültig als Ausrutscher in ihrer Biographie. Das Konjunkturpaket II dagegen wirkt wie die Zusammenfassung ihrer Kanzlerschaft. Es ist ein Sammelsurium, eine große, breit gestreute Wohltat, die nach politischen Gesichtspunkten zusammengewürfelt wurde. Die CSU bekametwas, die SPD bekam etwas, und die CDU fragte sich mal wieder, was das alles mit ihr zu tun habe. Es ist ein Paket, das praktisch nichts von Merkel zeigt, außer ihrem Hang zur Stille, zur Moderation, zur Nachgiebigkeit, zur Kalmierung der Gemüter – zur inhaltlichen Unsichtbarkeit.
    Erstaunlich war, dass dies nichts an ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung änderte. Ihre Zustimmungswerte lagen auch in der ersten Krisenphase stabil über sechzig Prozent. Deshalb wirkte die Kritik an ihr manchmal wie eine rein professionelle Kritik, eine Kritik der Experten, während die, für die Politik gemacht wird, zufrieden waren. Aber diese guten Zahlen sind auch Ausdruck von Merkels Konturschwäche. Wer sich positioniert, der spaltet. In einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik kann man mit einer deutlichen Position kaum mehr als fünfzig Prozent Zustimmung bekommen, da sich das Land in den meisten wichtigen Fragen in der Mitte teilt. Wer die Festlegung meidet, wird freundlich betrachtet, weil er nicht herausfordert und nicht weh tut. Insofern ist Merkel durchaus eine Kanzlerin für alle.

FAZIT UND AUSBLICK
    Es ist etwas sehr Merkwürdiges mit dieser ersten Kanzlerschaft von Angela Merkel. Sie hat die meiste Zeit gehandelt oder eben nicht gehandelt, als warte sie auf etwas. Es war eine Zeit des Transits, eine Zeit im Wartesaal. Die Jahre zwischen dem Herbst 2005 und dem Herbst 2008 waren wie die Vorzeit zu einem großen Ereignis. Und dann kam dieses Ereignis, die Weltfinanzkrise. Die Bundeskanzlerin hat nicht darauf gewartet, das sicher nicht. Sie war im Transit zur nächsten Bundestagswahl. Es ist nur dieser Zufall merkwürdig: dass sie Politik gemacht hat, als wären wir in einer Zwischenzeit, und im Nachhinein muss man sagen, dass wir es wirklich waren. Es war die Zeit zwischen den beiden welthistorischen Schocks von 2001, dem Anschlag auf Amerika, und 2008, der ökonomischen Erschütterung. Das macht ihre Politik der Zurückhaltung nicht besser, im Gegenteil. Ein paar entschiedene Reformen hätten Deutschland geholfen, gut durch die Krise zu kommen.
    Die Jahre 2005 bis 2008 waren noch aus einem anderen Grund eine Wartezeit. Es war das Warten auf die Zeit nach George W. Bush, ab dem Frühjahr 2008 die Zeit des Wartens auf Barack Obama. Mit Bush fiel Amerika als Partner einer Weltpolitik aus. Er zog stur den Krieg imIrak durch, er fügte der Demokratie schweren Schaden zu, indem er das Lager von Guantanamo errichten ließ, er steuerte sein Land in einen neuen Antagonismus mit Russland hinein, und er fiel insgesamt als Partner aus, weil er mit religiöser Starrheit und neokonservativer Ideologie an einem rückwärtsgewandten Amerika baute. Besonders schlimm war seine Weigerung, den Klimawandel ernsthaft zu bekämpfen.
    Deshalb endete die Weltzwischenzeit erst Anfang 2009, als Obama Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Leider endete da noch nicht das Warten in Deutschland, weil sich die Politik für die Bundestagswahl rüstete. Merkel blieb im Transitzustand.
    Es waren also Übergangsjahre, die wir mit ihr erlebt haben. Wird sie nicht mehr gewählt, geht sie als Übergangskanzlerin in die Geschichte ein, beziehungsweise fällt sie aus der Geschichte weitgehend heraus. Erste Frau, erste Ostdeutsche – das bleibt. Die große Tat aber fehlt, anders als bei Adenauer, Brandt, Kohl und Schröder. Würde sie noch einmal Kanzlerin, stellten sich ihr große Aufgaben. Die Frage ist, welche Aufgaben sind das, und wäre Merkel in der Lage, sie zu lösen?
     
    Wir sind alleine mit den Politikern, und Politik ist wieder wichtig. Das sind zwei Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren. Anders gesagt: Politik kann nur von Vollblutpolitikern gemacht werden, weil sie zu komplex ist für andere,
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