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Androidenträume

Titel: Androidenträume
Autoren: John Scalzi
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in seinem Verdauungstrakt akkumulierte, hatte in der Tat mit Fleisch angefangen. Genauer gesagt, mit dem Fleisch in Moellers Metzgerei, dem Geschäft, das Dirks Vater in dritter Generation betrieb. In dieses Geschäft war vor inzwischen fast vierzig Jahren Faj-win-Getag gestürmt, der Botschafter der Nidu, gefolgt von einer Entourage aus niduanischen und menschlichen Diplomaten. »Hier riecht etwas richtig gut«, hatte der Botschafter gesagt.
    Diese Erklärung des Botschafters war äußerst bemerkenswert. Neben ihren zahlreichen körperlichen Fähigkeiten verfügten die Nidu über einen Geruchssinn, der um mehrere Größenordnungen feiner war als der einer menschlichen Nase. Aus diesem Grund – und aus weiteren Gründen, die mit dem niduanischen Kastensystem zusammenhingen, das die japanische Gesellschaft des 16. Jahrhunderts wie ein Paradebeispiel für Toleranz, Laisser-faire und Gleichberechtigung aussehen ließ – hatten die höhergestellten diplomatischen und politischen Nidu-Kasten eine »Sprache der Gerüche« entwickelt, die bestenfalls mit der »Sprache der Blumen« vergleichbar war, wie sie einst der europäische Adel kultiviert hatte.
    Ähnlich wie die aristokratische Blumensprache war auch die Duftsprache niduanischer Diplomaten keine Sprache im engeren Sinne, insofern als sich mit den Gerüchen kein Gespräch führen ließ. Außerdem konnten Menschen nicht viel mit dieser Sprache anfangen. Der menschliche Geruchssinn war so schwach entwickelt, dass ein Nidu, der ein olfaktorisches Signal sendete, vom Empfänger die gleiche Reaktion erhalten würde wie von einer Schildkröte, der man eine Arie vorsang. Doch unter sich konnten die Nidu ein Gespräch auf beeindruckende Weise eröffnen, wenn sie es mit einer besonderen Note der subtilen Art unterlegten (sofern Gerüche als subtil bezeichnet werden konnten), die die gesamte weitere Konversation prägte.
    Wenn ein Nidu-Botschafter durch eine Ladentür stürmte und verkündete, dass etwas gut roch, war das eine Aussage, die mehrere unterschiedliche Ebenen hatte. Eine davon war, das etwas wahrscheinlich einfach nur gut roch. Doch auf einer zweiten bedeutete sie, dass etwas im betreffenden Laden einen Geruch hatte, mit dem ein Nidu gewisse positive Assoziationen verband. James Moeller, der Betreiber von Moellers Metzgerei und Dirks Vater, war kein besonders weltkluger Mann, aber ihm war sofort klar gewesen, dass das wohlwollende Urteil des Nidu-Botschafters für ihn den Unterschied zwischen geschäftlichem Erfolg und Misserfolg ausmachen konnte. Es war schon schwer genug, in einer größtenteils vegetarischen Welt eine Metzgerei zu betreiben. Aber nachdem immer mehr von den ohnehin recht wenigen Fleischliebhabern das neue Zuchtfleisch aßen, wurde die Situation zunehmend prekärer. Zudem weigerte sich James hartnäckig, das Kunstzeug in seinem Laden anzubieten, und war sogar so weit gegangen, einen Vertreter von Kingston mit einem Hackbeil aus dem Geschäft zu jagen. Die Nidu waren überzeugte Karnivoren, wie James Moeller wusste. Von irgendwoher mussten sie ihre Nahrung beziehen, und James Moeller war Geschäftsmann. Solange sie zahlten, waren in seinen Augen alle seine Kunden gleichwertig.
    »Ich habe es schon auf der Straße gerochen«, fuhr Faj-win-Getag fort, während er sich dem Verkaufstresen näherte. »Es riecht frisch. Es riecht anders.«
    »Der Botschafter hat eine gute Nase«, sagte James Moeller. »Hinten im Lager habe ich Hirschfleisch, das erst heute aus Michigan eingetroffen ist.«
    »Ich kenne Hirsche«, sagte Faj-win-Getag. »Große Tiere. Sie werfen sich mit großer Häufigkeit gegen Fahrzeuge.«
    »Genau die«, sagte James Moeller.
    »Aber sie riechen nicht so, wenn ich sie am Straßenrand rieche«, sagte Faj-win-Getag.
    »Ganz bestimmt nicht!«, sagte James Moeller. »Möchten Sie das Hirschfleisch aus der Nähe riechen?« Als Faj-win-Getag zustimmend nickte, sagte James zu seinem Sohn Dirk, dass er etwas davon holen sollte. Dann präsentierte James es dem Nidu-Botschafter.
    »Das riecht wunderbar«, sagte Faj-win-Getag. »Es ähnelt sehr stark einem Duft, den wir nach unseren Gepflogenheiten mit sexueller Potenz gleichsetzen. Dieses Fleisch müsste sich bei unseren jungen Männern großer Beliebtheit erfreuen.«
    James Moeller grinste so breit wie der Potomac River. »Es wäre mir eine Ehre, dem Botschafter etwas Hirschfleisch zu schenken, mit meinen besten Empfehlungen.« Er scheuchte Dirk noch einmal ins Lager, um noch mehr davon zu
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