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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
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offensichtlich technische Überlegenheit der Russen, mit einer Enttäuschung über die Amerikaner, denen die Sympathien galten, die Waage hielt. Zuerst der Sputnik, dann Laika, die Russen waren den Amis immer einen Schritt voraus. Immerhin war der erste amerikanische Satellit ebenfalls in diesem Frühjahr gestartet und es konnte als humane Geste ausgelegt werden, keine lebendigen Wesen ein paar Hundert Kilometer hoch ins All zu schießen. Also würde er erst übermorgen wieder seinen Platz hinter den Birken einnehmen.
    Ein pastellgelber Bus mit dem grünen Seitenstreifen der städtischen Verkehrsbetriebe näherte sich, setzte seinen Blinker und rollte zur Haltestelle hin langsam aus. Die von Regentropfen verschleierten Scheiben verzerrten den erleuchteten Innenraum; die konturlosen Fahrgäste warfen gestückelte Schatten. Die Vordertür öffnete sich mit dem typischen pneumatischen Zischlaut und ein Mann stieg aus, den Kopf zum Fahrer gedreht, ein paar Worte wechselnd. Er blieb an der Haltestelle stehen, bis sich der Bus wieder in Bewegung setzte, und drehte sich nach einem angedeuteten Winken in Richtung Schlutup. Er war groß und schlank, den Hut tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Nieselregen zu schützen, sodass seine Augen verdeckt blieben. Eine dunkelgraue Blousonjacke mit einem Strickbund in der gleichen Farbe und an den Beinen umgeschlagene, dunkelblaue Bluejeans ließen ihn so amerikanisch wirken wie James Dean auf dem Plakat von … denn sie wissen nicht, was sie tun, dem Film, der gerade im letzten Monat in der Stadthalle angelaufen war und dessen Hauptdarsteller in seiner herrlich rebellischen Haltung Christians Fantasiewelten befeuert hatte.
    Die offensichtliche Lässigkeit des Mannes beeindruckte Christian sofort. Wie gern hätte er selbst Bluejeans getragen! Negermusik, Kaugummi und Nietenhosen waren indessen in der Familie Lorenz tabu und Quelle härtester Zurückweisungen und Streitereien, bei denen seine Schwester Renate den Eltern beistand. Sie verdiente schon eigenes Geld und konnte den Teil, den sie nicht dem Haushaltsgeld der Familie beisteuerte, für ihre kleinen Wünsche ausgeben. So besuchte sie einen Kurs des Müttergenesungswerks mit dem Thema „Die junge Hausfrau – Wie schaffe ich mir und meiner Familie ein Heim?“ Für Christian bedeutete die finanzielle Abhängigkeit im Winter Cordhose und im Sommer Popeline. Statt Dixie oder Rock ’n’ Roll mit Bill Haley und den Comets drehten Caterina und Silvio Valente, Gerd Wendland, Vico Torriani und Marika Rökk ihre Runden auf dem Zehnerwechsler in der nussholzbraunen Musikkonsole, der die 45iger-Schallplatten mit einem Klack fallen ließ. Neben dem Radio mit dem magischen grünen Auge beherbergte das Möbel eine kleine Bar, deren warmes Licht sich beim Öffnen automatisch auf die graue Auslegware des Wohnzimmers ergoss.
    Christian hoffte inständig, der Mann würde nicht auf den Feldweg einbiegen, sondern Richtung Schlutup zur Siedlung gehen, deren Häuser in der Ferne heute nur als schmutzigweiße Flecken in den grauen Horizont gemalt waren. Er wusste sich nicht zu verhalten und fühlte sich auf frischer Tat ertappt. Der Mann war nicht die Person, die er vor dem Haus für Malskat gehalten hatte. Er war viel größer und schmaler und ging leicht nach vorn gebeugt. „Schlechte Haltung“, würde sein Vater sagen und „Geh gerade!“ Eine nervöse Spannung ergriff von ihm Besitz und er wünschte sich weit fort. Der andere würde sofort merken, dass etwas mit ihm nicht stimmte, dass er nicht hierher gehörte, schon gar nicht bei diesem Wetter, allein seine Anwesenheit machte ihn verdächtig. Es gelang ihm, gegen seinen Drang wegzulaufen, sich langsam Richtung Teerstraße in Bewegung zu setzen, den Kopf weg vom Mann zu drehen, als wenn seinen Blick etwas Entferntes fesselte. Der Mann zögerte kurz, dann bog er auf den Feldweg ein und kam direkt auf Christian zu, hob den Kopf und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
    Richard von Dülmen erkannte den Jungen sofort. Es war derselbe, den er schon einige Male aus Malskats Atelierfenster beobachtet hatte, wenn er zwischen den Birken gegenüber am Ufer stand und seinen Blick nicht vom Haus löste. Anfangs hatte er gedacht, der Junge würde das Anwesen ausspionieren, da schon früher einmal Jugendliche vergeblich versucht hatten, die Haustür aufzubrechen. Er hatte sich mit Malskat im ersten Augenblick darüber verständigt, die Polizei zu rufen, hatte aber, als er den Jungen wieder
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