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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
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am Ufer und hatte sein Scheitern vor Augen. Er suchte das Schilf ab; das Boot lag nirgendwo vertäut. Wahrscheinlich nahm der Maler den Weg um die Insel zu der Anlegestelle, von der ein Feldweg zur Teerstraße nach Schlutup führte. Die lag aber hinter der Insel und war von Christians Standort nicht einzublicken. Hoffnung keimte in ihm auf. Wenn das Boot dort lag, war das Haus bewohnt, und er hätte bei jedem seiner Besuche den Maler sehen können, nur der Zufall hätte es verhindert. Er musste sich Gewissheit verschaffen.
    Einen direkten Pfad am morastigen, ölig schlierenden Ufer des kleinen Sees gab es nicht. Also, zurück zur Landstraße bis zum Feldweg! Auf dem Weg dorthin redete er sich die Zweifel schön. Bestimmt lag das Boot dort, er erinnerte sich an eine Haltestelle in der Nähe der Abzweigung zum Feldweg, es gab keine andere Erklärung. Oder Malskat war zum Beginn der feuchten, nebeligen Jahreszeit weggezogen. Wer wollte denn schon, wenn es klamm und schietig wurde, im Moor wohnen? Das war vielleicht der Grund dafür, dass die Insel so verlassen wirkte. Dann müsste das Boot aber auch dort am Ufer liegen. Am besten wäre es, wenn es an Land gezogen, mit einer Plane bedeckt oder nur ohne die Ruder seinen Winterplatz bezogen hätte. Dann wüsste er Bescheid, denn dann hätte alles eine Logik, der er folgen konnte. Die Enttäuschung ließe sich dann begrenzen und herunterspielen als eine fatale Aneinanderreihung falscher Zeitpunkte auf seinem Beobachtungsposten. Sollte er dann versuchen, den Maler in Lübeck ausfindig zu machen? Würde der denn überhaupt nach Lübeck, der Stadt seiner Schande, ziehen? Wie bekommt man so etwas heraus?
    Als Christian die glatte Oberfläche des Teers der Landstraße unter seinen Sohlen spürte, hielt er inne. Er musste sich entscheiden: Die Landstraße überqueren und durch den Wald nach Hause oder sich nach rechts zur Abzweigung Richtung Schlutup wenden. Er zögerte, schon bereit zur Aufgabe. Er war nicht der Typ des zähen Terriers, der sich verbeißt. Überhaupt nicht. Aber auch nicht der, dessen Weg über den des geringsten Widerstands führte. Seine Strategie bestand viel eher darin, nicht aufzufallen und, wenn er ein Interesse an jemandem entwickelte, nur kleine Signale auszusenden und unbestimmte Gesten anzubieten, die, falls sie unbeantwortet blieben, in ihrer Eindeutigkeit oder Absicht von ihm verleugnet werden konnten.
    Er schlug den Weg in den Wald ein, die Hände beinahe trotzig in die Taschen seines grün-beigen Wendeanoraks geschoben. Sein Gang wurde schlurfend, seinem Körper entwich die Spannung und in seinen Gedanken formierte sich der Satz „So eine Scheiße“ zu einem Mantra, das wie ein Schutzwall den anstürmenden Gefühlen seines Scheiterns standhalten musste. Die Umgebung nahm er nicht wahr.
    Nach wenigen hundert Metern, gerade als er das erste Waldstück mit seinem lichten Buchenbestand verlassen wollte, um die Schonung zu durchqueren, die er so gut kannte, durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass er die Sache zu Ende bringen musste. Er ahnte instinktiv, dass sonst am nächsten Tag und den Tagen, die auf den nächsten folgen würden, der Gedanke Raum greifen würde, diese letzten Meter nicht gegangen zu sein, aufgegeben zu haben, ohne letztendlich einen Schlussstrich gezogen zu haben. Es würde darauf hinauslaufen, dass er wieder Posten bezöge, diesmal aber getrieben von der Angst, etwas versäumt zu haben, weil die schwelende Kraft seiner Fantasien, die sich genau auf die wenigen Meter, die er ausgelassen hatte, konzentrieren würde, ihm ihren Willen aufzwänge und ihn nicht losließe.
    Er lief zurück. Das Boot lag leise schaukelnd neben dem Steg im Wasser, beide Ruderpinnen hingen in den Dollen, die Blätter über dem Bug. Das Tau war lose über einen Pfahl geschlungen, ohne Umstände für eine Übersetzung zur Insel zu lösen. Christian durchströmte das Gefühl unendlicher Erleichterung. Er atmete tief aus, schüttelte den Kopf und überschlug den morgigen Tag, ob er ihm Zeit ließe für ein paar Stunden am Teich. Es ging nicht. Er wollte sich mit Stefan treffen, nach dem Training, um mit ihm den Vortrag über das russische und amerikanische Satellitenprogramm vorzubereiten. Dass es die Russen geschafft hatten, vor den Amerikanern im November einen Satelliten mit dem Hund Laika in den Weltraum zu schießen, hatte unter den Mitschülern eine heftige Diskussion ausgelöst, in der sich Antikommunismus, gemischt mit einem Schuss Bewunderung für die
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