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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
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auftauchen sah, davon Abstand genommen, weil der in seinen Augen unverfänglich wirkte und Malskat nicht erpicht auf die Anwesenheit der Polizei auf seinem Grundstück gewesen war. Weder ging eine Verschlagenheit von dem Jungen aus, noch bewegte er sich mit dem Maße an Energie, die notwendigerweise mit einem Ausspähauftrag einherging, wie Anschleichen, Witterung aufnehmen oder Auf-dem-Sprung-Sein. Der Junge stand nur da und guckte. Es war noch nicht einmal ein Beobachten. Trotzdem konnte er sich keinen Reim darauf machen, was der Junge wollte. Er hätte ihn ansprechen können, verzichtete aber darauf. Es sei ihm nicht wichtig genug, redete er sich ein. Aber das stimmte nur halb. Er fand den Jungen anziehend und war neugierig, wie er sich weiter verhalten würde. Er hielt nach ihm Ausschau und wenn er ihn musterte, wie er stand und schaute, verhielt er sich ganz still hinter der Gardine des Atelierfensters und nahm das, was er von dem Jungen sah, in sich auf. Den scharf geschnittenen Kopf mit den verwuselten Haaren, den schmalen Oberkörper, der nicht dünn wirkte, eher durchtrainiert und sehnig, die spärlichen Bewegungen, wenn ihm kalt wurde. Und er stellte sich die Muskulatur unter der Haut vor in ihrer Geschmeidigkeit und reliefartigen Struktur. In einem gewissen Sinne einverleibte er ihn sich, als wenn er intime Kenntnisse über den anderen gewänne, aus denen ein Anspruch erwüchse.
    Außerdem verbat sich Malskat jede Störung; er befand sich im frühen Stadium einer neuen Schaffensphase und wollte das Fälscherimage loswerden. Er plante, sich als Maler zu etablieren, nachdem Galerien in Schweden Interesse an seinen farbintensiven, expressionistischen Landschaftsbildern gezeigt hatten. Von Dülmen wusste, dass er sich nur auf der Insel aufhalten konnte, wenn er Malskats Bedürfnisse respektierte. Dass er dennoch den Jungen im Auge behielt, hatte er dem Maler gegenüber nicht mehr erwähnt.
    Christian passierte den Mann mit gesenktem Kopf. Er wich ihm aus und wäre beinahe in ein Moorloch getreten, das neben dem schmalen Feldweg vom stumpfen Gras halb verdeckt war. Er stammelte ein „Guten Tag“ und schon nach wenigen Metern begann es ihn über sein albernes Verhalten zu wurmen, als ihn die Stimme des Mannes zwang, stehen zu bleiben: „Halt, warte mal, ich kenn dich doch!“
    Später, als ihre Begegnungen schon ihr abruptes Ende gefunden hatten, musste Richard von Dülmen schmunzeln, wenn er daran dachte, wie er Christian an sein entgeistertes Gesicht erinnerte.
    „Du hast ausgesehen, als wenn ich dich bei sonst etwas erwischt hätte. Ich konnte förmlich sehen, wie es hinter deiner Stirn arbeitete, um aus dieser Situation herauszukommen.“
    Es war Christian immer peinlich gewesen und als Ricky verschwunden war, stellte sich bei ihm wieder das Gefühl des dummen Jungen ein, bis er den Artikel über von Dülmens Festnahme gelesen und sein Foto in der Zeitung entdeckt hatte und seine Welt endgültig in Scherben lag.

2. Kapitel

    Ingeborg Lorenz wischte sich die Hände an der Schürze ab. Sie löste die Schleife am Rücken mit der Bewegung, die keine Überlegung mehr erforderte, und zog sich den Träger über den Kopf. Dabei achtete sie nicht darauf, ob sie ihre Frisur durcheinanderbrachte, denn sie trug die dunklen Haare kurz geschnitten und verzichtete auf Lockenwickler und Haarfestiger. Sie hängte die Schürze an den Nagel hinter der Tür, strich sich den Rock glatt und betrachtete ihre schlanken, sehr gepflegten Hände mit den blutroten, oval gefeilten Fingernägeln. Im ersten Moment lösten ihre Hände Widerspruch beim Betrachter aus, sie passten nicht zu der Gesamterscheinung der Ingeborg Lorenz, die eher gedrungen und rundlich wirkte. Die Erwartungen von Händen, die sich komplementär in das Gesamtbild fügten, lagen bei kurz und dick mit ordentlich für die Hausarbeit geschnittenen Fingernägeln. Finger, die zupacken konnten. Dass Ingeborg Lorenz durchaus zupacken konnte, brauchte nur einen Moment der Beobachtung, wenn die Hände in Bewegung waren, dann fiel alles Gezierte und Künstliche von ihnen ab und sie verwuchsen gleichsam mit den übrigen Körperteilen zu einem funktionellen und gezielten Bewegungsablauf.
    Einen Tag oder zwei Tage halten sie noch, dachte sie, freute sich aber insgeheim schon auf die Sitzung, die sie der Pflege ihrer Hände widmen würde. Auf dem Rand der Couch sehr aufrecht sitzend, die Beine zusammengepresst, ein Handtuch über den Knien ausgebreitet, die Nagelschere,
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