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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Das gleiche Gefühl. Etwas, was seine Eltern nie verstehen würden. Wie damals, als Stefan den Jailhouse Rock von Elvis Presley mitgebracht hatte und die Schallplatte im Wohnzimmer abspielen wollte. Die Kremers waren ebenfalls da und nickten. „Dann mal los“, sagte sein Vater Fritz. Es war kein abschätziger oder böser Kommentar gefallen, nichts von Hottentotten- oder Negermusik, sondern seine Eltern und die Kremers saßen ganz gutwillig da und hörten zu, ertrugen die Musik stoisch. Aber sie bekamen nichts von dem mit, was Christian durchlebte. Er war in eine Parallelwelt aus Botschaften eingetaucht, zu der nur er und Stefan Zugang hatten, eine durch nichts zu vermittelnde aufregende, eigene Welt, die entdeckt und einverleibt werden musste. Darin hatten seine Eltern nichts zu suchen, wollten auch gar nichts zu suchen haben, Christian hätte sie ihnen verwehrt, sie erst gar nicht zu vermitteln versucht. In dieser Parallelwelt wollte er zukünftig leben, mit Gleichgesinnten durch einen Geheimcode verbunden, der von den Erwachsenen nicht zu entschlüsseln war und Malskat gehörte plötzlich dazu. Erklären hätte er es nicht können. Es war einfach da.
    Es gab noch einen anderen Grund, Malskat kennenlernen zu wollen, einen sehr privaten, geheimen, den er bisher für sich behalten hatte aus Angst, sich wichtig oder, schlimmer noch, sich lächerlich zu machen.
    Er wusste plötzlich, dass Malskat seinen Wunsch, Maler zu werden, sicherlich verstehen, ihn vielleicht sogar darin bestärken würde. Seine Bilder, mit dem Tuschkasten von Pelikan gefertigt, versteckte er sorgfältig oder zerriss sie zugleich, zu groß war seine Angst, sie als kindischen Quatsch abgetan zu sehen, zu wenig war er selbst von ihnen überzeugt. Aber wenn er allein mit dem Pinsel und dem Blatt Papier versuchte, etwas zustande zu bekommen, fantasierte er sich groß und berühmt. Einem richtigen Maler zu begegnen, schien ihm logisch und zwingend zu sein, wenn sich ihm die Chance böte.
    Obwohl er innerlich ganz aufgeregt wurde, schwieg er und behielt seinen Plan für sich. Nicht einmal Stefan sollte ein Sterbenswörtchen erfahren. Es war ihm plötzlich wichtig, als wenn er eine Chance ergriffen hätte, die ihn aus dem täglichen Kreislauf der vorgefertigten Abläufe und Beschränkungen seiner Lebenswelt ausscheren lassen konnte, einer Alltäglichkeit, die ihm keinen Spielraum einräumte und die er nicht steuerte. Als er vor drei Jahren, kurz nach der Konfirmation, zu Hause durchsetzte, aus der evangelischen Kirche auszutreten, einem Recht, das ihm ab dem vierzehnten Lebensjahr nicht zu verwehren war, gelang das nur durch seine schmerzliche Beharrlichkeit und die schließliche Resignation der Eltern. Er hatte aufgehört zu glauben. Oder vielmehr hatte er aufgehört zu beten, nachdem Gott auf wiederholtes, zugegebenermaßen naives Verlangen kein Zeugnis seiner Gegenwart lieferte in Form eines erkennbaren Zeichens, einem Glockenton, der in einem ausgedachten Moment hätte erklingen müssen, oder einer Person, die just dann um die Ecke böge, als Christian es sich vorstellte. Nichts dergleichen geschah. Er war ein echtes Risiko eingegangen, da der Glaube an die Existenz Gottes mit all seinen Riten und persönlichen Zwiesprachen bis dahin einen unerschütterlichen Bestandteil seiner Sicherheiten dargestellt hatte.
    Nach einiger Zeit konnte er einschlafen, ohne gefaltete Hände und ohne die tröstliche Gewissheit, dass er nicht schutzlos und allein war. Dieser Akt hatte ihn für einen Moment aus der Masse gehoben, so fühlte er sich jedenfalls. Es war kein rebellischer Akt, es war eher eine Art des Versuches einer Selbstbehauptung, die erst an Schärfe gewann, als er gegen seine eigene Unterwerfungsbereitschaft nicht mehr zurückkonnte. Als er dann das Dokument seines Kirchenaustritts in den Händen gehalten hatte, wusste er nichts damit anzufangen. Es eignete sich nicht als Zeichen des Triumphes. Er kam zum Beispiel weder auf die Idee, den Religionsunterricht zu verweigern noch die Pose des Atheisten zu besetzen. Dafür kannte er sich in der Religionsgeschichte nicht genügend aus und er fühlte sich nicht gewachsen, öffentlich eine so dezidierte Meinung gegenüber Pastor Schmidte, seinem Religionslehrer, und seinen im System der evangelischen Kirche verwurzelten Mitschülern zu vertreten. Er hatte gleich die Vermutung, dass Pastor Schmidte seinen Schritt ignorierte, unausgesprochenes Stillschweigen auch von seiner Seite voraussetzend. Dafür war er ihm
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