Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
Vom Netzwerk:
nur durch den Schlagbaum getrennt, aufgefahren waren und sich gegenüberstanden und die Kanonenrohre schwenkten, als wenn sie mit dem Finger drohten. Dabei stießen die laufenden Motoren dicke, stinkende Dieselwolken aus, die sich wie schwerer Nebel kaum verflüchtigten. Nach einer Weile wurden die Feldstecher in ihre Ledertaschen gesteckt, die Panzer hatten sich wieder in Bewegung gesetzt in Richtung ihrer Standorte und das Rasseln der Ketten und das Dröhnen der Motoren hatten noch lange in den Ohren nachgeklungen. Der lehmige Auswurf, der aus den Zwischenräumen der Kettenglieder nach hinten herausgeschleudert wurde, lag noch tagelang auf der Straße. Allerdings hatten seit dem Tag die Grenzkontrollen zugenommen, der unkomplizierte Tauschhandel war eingestellt worden und die Vopos hatten damit begonnen, an der Grenze Stacheldrahtverhaue zu errichten.
    War er enttäuscht, dass er heute wieder erfolglos geblieben war? Vielleicht ein wenig. Christian wusste eigentlich nicht genau, was er bei seinen Gängen zum Haus des Malers Malskat suchte. Es zog ihn einfach an. Er erwartete nicht ernsthaft, dass er durch die Beobachtung des Hauses Malskat kennenlernen würde, fantasierte alles: Gespräche, vertrauliche Gesten, freundschaftliche Neckereien, gegenseitiges Verständnis, die plötzliche Entdeckung seines Talents bei einer eher zufällig hingekritzelten Skizze auf einer Serviette, die Beichte, selbst zu malen, zwar nur mit Tusche, aber immerhin, wahrgenommen zu werden als Gleichgesinnter – wobei er dieses Gleichgesinnte nicht recht zu füllen wusste, es war mehr eine Ahnung über einen ebenbürtigen Umgang miteinander, ein Bild von Kameradschaft, wie er es in den Büchern der „Waffen-SS im Einsatz“ gesehen hatte, die sein Vater im Wohnzimmerregal neben den Alben über die Olympischen Spiele in Oslo und Melbourne und dem Bildband der französischen Impressionisten platziert hatte, wenn die fast noch jugendlichen Soldaten sich im Freien mit entblößten Oberkörpern wuschen und sich lachend gegenseitig mit Wasser bespritzten –, und, jetzt trat er zornig einen Ast aus dem Weg, nicht immer dieses Gefühl des Voyeurs zu haben, der vom Rand aus sich an anderen Akteuren delektiert und seine Fantasie mit fremden Bildern speist. Ihm kam sein Lieblingsfoto in den Sinn, er in der Mitte von einigen Mitschülern umringt, aufmerksame, neugierige Augen auf ihn gerichtet, auf etwas mit dem ausgestreckten Arm hinweisend, ganz Mittelpunkt. Das Foto war auf einer Klassenfahrt nach Malente aufgenommen, die vor drei Jahren stattgefunden hatte, und die Erinnerung an die Fahrt war eher unangenehm, weil er sich arm, isoliert und wenig akzeptiert gefühlt hatte inmitten seiner betuchten und alteingesessenen Lübecker Klassenkameraden. Aber das Foto suggerierte ihm Anerkennung und er liebte es deswegen besonders, weil es den Anschein erweckte, dass die Wahrnehmung seiner Person durch die anderen weniger katastrophal war als durch ihn selbst.
    Als er aus dem Wald trat, sah er schon am Ende der Schlutuper Straße die Siedlung, in der er wohnte. Neue dreistöckige Mietshäuser mit jeweils drei Eingängen, um einen Spielplatz und Grünflächen gruppiert, dazu eine Grundschule und ein Fußballplatz, der in eine Felder- und Knicklandschaft überging, bildeten eine der neuen Grenzsiedlungen im Zonenrandgebiet, vorläufiges Ende des städtischen Raums. Sein Schritt verlangsamte sich, als er in den Schein der Straßenlaternen trat. Jetzt zog ihn nichts nach Hause, die Erwartung der abendlichen Rituale stieß ihn eher ab, als dass sie ihn gleichgültig ließ, da er nichts mit ihnen verband außer einem Gefühl, nicht entrinnen zu können und nicht dazuzugehören und gleichzeitig die Nähe zu wollen, nach der er sich sehnte.
    Die Haustür war noch nicht abgeschlossen. Als er den Flur betrat, roch er sofort die Mischung aus Essensdüften, ungelüfteten Räumen, kaltem Rauch und der noch feuchten Farbe der erst kürzlich gestrichenen hellgrünen Wände. Jeder Hausflur in dem Block roch anders, als wenn die Bewohner eigene Duftmarken gesetzt hätten. Heute kam ein neuer Geruch dazu, den Christian nicht einzuordnen vermochte. Es roch nach Kautschuk wie die neuen Reifen, die er sich im Fahrradgeschäft angesehen hatte. Erst als er das Flurlicht betätigte, fiel ihm die neue Gummierung des Treppengeländers ins Auge, die schwarz und sanft das Flurlicht widerspiegelte. Er strich über die glatte, schon ausgekühlte Oberfläche, die noch ohne Kerben und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher