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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition)
Autoren: Wolfgang Ehmer
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doch mal sehen. Trotzdem jeder Blick ein Stich, jedes Grinsen ein Biss, die Haut dünn, zum Zerreißen dünn, und der eigene Blick, der eigene Gang, die eigene Straffung des Körpers eine Fassade. Mit Stefan ging es, mit ihm war es möglich. Der Freund, der mich nicht im Regen stehen lässt, der das mit mir durchsteht, auf dich ist Verlass. Ich hätte schon viel eher mit dir reden müssen. Ich bin ein Idiot.
    So brabbelte er sich durch die nächsten zwei Tage. Schattenkalte Tage unter bleiernen Himmeln, dick vermummt auf dem Fahrrad, einen Tritt schneller auf dem Hinweg zur Schule durch die Moltkestraße, vorbei an den schwarz-geschwungenen Gittern der Vorgärten, auf dem Nachhauseweg die Straßenseite gewechselt und keinen Blick auf den Feddersen’schen Eingang riskiert, den Kopf starr geradeaus oder gesenkt. Zu Hause immer noch kein Gespräch, gespannte Gereiztheit, Fritz und Ingeborg hatten den richtigen Ton noch nicht gefunden. Vielleicht am Wochenende. Länger ließ es sich nicht hinausschieben. So lange Sendepause. Christian blieb vorwiegend in seinem Zimmer. Er wunderte sich, dass sie das Protokoll noch nicht unterschreiben mussten, rechnete täglich mit der Post aus dem Kommissariat.
    Am Donnerstag fuhr er direkt nach der sechsten Stunde zum Bootshaus. Auf dem Schwarzen Brett im Eingangsbereich der Schule gegenüber der Pförtnerloge und dem Gang zu den hinteren Gebäudeflügeln, in denen noch die alten, von Siemens stammenden Physik- und Chemieräume untergebracht waren, stand auf einem von Henze unterschriebenen und durch den runden Stempel mit dem Wahrzeichen des Katharineums zur offiziellen Anweisung erhöhten Dokument, dass das Vorbereitungstraining für die Rudermannschaften in dieser Woche wieder begönne. Er suchte seine Ruderkameraden, mit denen er sich normalerweise zur gemeinsamen Fahrt ins Ruderhaus auf dem Schulhof traf, fuhr dann allein los, als sich niemand von ihnen blicken ließ.
    Die Luft im Bootshaus war abgestanden, durchsättigt vom Fett an den Dollen und den Laufschienen der Rollsitze. Zwei schwache Glühlampen warfen spärlich gelbliche Kegel ins Halbdunkel. Das lackierte Holz der Schulschiffe glänzte matt und Christian liebkoste mit seiner Hand ihre kühlen Oberflächen. Ihr weiß gestrichenes Boot war schmaler und länger und nicht so klobig wie die Schiffe für die Wanderfahrten. An seinem Bug war ein aufgeschlitzter Tennisball befestigt, dessen einstmals gelbe Farbe einem schmutzigen Grau gewichen war. Er atmete tief ein und freute sich auf das Training im Boot, obwohl es draußen lausig kalt war. Die Riemen im rhythmisch geschrienen Takt des Steuermanns durchs Wasser gezogen, mit der Kraft aus Oberkörper und Beinen den Widerstand des Elbe-Lübeck-Kanals gebrochen, das Schiff tief in seiner gesamten Länge eingetaucht und beim Rückholen durch das Wasser geschossen, das Keuchen aus den schmerzenden Lungen, das Stechen in den Armen, wenn nichts mehr ging, wenn der Prickel beinahe aus der Hand rutschte und der Hintern keine schmerzfreie Position mehr fand, sooft man auch das Gewicht verschob. Christian konnte es kaum erwarten.
    Als er sich halb umgezogen hatte und dabei war, seinen stinkigen, dunkelblauen Ruderpullover mit dem rotweißen Brustband überzustreifen, hörte er die anderen durch das Bootshaus lärmen und lachen. Siggi, Wolle, Jürgen und Klaus betraten, sich gegenseitig schubsend und drängend, den Umkleideraum und schmissen ihre Sporttaschen auf die Bänke vor ihren Spinden. Sie umringten Christian und fragten ihn, warum er denn schon losgefahren sei, sie hätten am Fahrradkeller auf ihn gewartet. Sie schäumten beinahe über vor Lust und froher Spannung, dass es endlich wieder losging, und Jürgen übernahm sofort seine Rolle als Mannschaftsführer und versuchte, über den Lärm einige Anweisungen zu geben, auf was sie achten sollten. Aber niemand hörte auf ihn und er gab seinen Versuch auf, schien aber keinen Anstoß daran zu nehmen, dass er kein Gehör fand.
    „Henze kommt auch gleich“, sagte Klaus, „ich soll euch Bescheid geben, dass wir schon mal das Boot klarmachen sollen, fetten und so.“
    „Oh, dann wird’s ernst“, sagte Wolle und er machte Anzeichen, sich wieder umziehen zu wollen, „ich geh denn mal lieber.“ Aber natürlich war er genauso aufgeregt wie die anderen und nichts hätte ihn davon abhalten können, mit ihnen ins Boot zu steigen.
    Die roten und grünen Botten schlurften und klapperten über den Betonboden und fanden erst ihren
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