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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Windstößen, die an dem feinen englischen Wagen rüttelten, als Mr. Muir noch mehr Gas gab. »Es ist die beste Lösung, liebe Frau«, sagte Mr. Muir leise. »Selbst wenn du keinen anderen liebst - mich liebst du nicht, das ist mir leider nur zu klar.« Bei diesen gemessenen Worten fuhr Alissa schuldbewußt zusammen, sah ihn aber noch immer nicht an. »Hast du verstanden, meine Liebe? Es ist besser so ... hab keine Angst.« Je schneller Mr. Muir fuhr, desto heftiger warf der Wind den Wagen hin und her. Alissa drückte die Hände vor den Mund, als wollte sie ihren Protest ersticken, und sah so gebannt wie Mr. Muir auf den unter ihnen dahinrasenden Asphalt.
    Erst als Mr. Muir die Leitplanke ansteuerte, verlor sie die Fassung. Sie schrie ein paarmal leise und gepreßt auf und drückte sich in den Sitz, machte aber keine Anstalten, ihm in den Arm, ins Steuer zu fallen. Und dann ging alles sehr schnell: Der Wagen durchbrach die Leitplanke, wirbelte durch die Luft, landete hart auf dem steinigen Hang, fing Feuer und überschlug sich viele, viele Male ...

    Er saß in einem Stuhl mit Rollen - einem Stuhl, den man rollen konnte! Eine erstaunliche Erfindung, überlegte er, wer mochte sich so was wohl ausgedacht haben?
    Da er fast völlig gelähmt war, konnte er sich allerdings nicht selbständig vorwärtsbewegen.
    Und da er blind war, besaß er ohnehin keine Selbständigkeit. Er war es zufrieden, dort sitzen zu bleiben, wo er saß, nur ziehen durfte es nicht (das unsichtbare Zimmer, in dem er jetzt seine Tage und Nächte verbrachte, war meist behaglich warm - dafür sorgte seine Frau -, trotzdem traf ihn hin und wieder ein unberechenbarer kalter Luftzug, und er hatte die Befürchtung, daß dem auf Dauer seine Körpertemperatur nicht gewachsen war.
    Er hatte von vielen Dingen die Namen vergessen und war nicht böse darüber. Wenn einem die Namen nicht einfallen, mindert das den Wunsch nach den Dingen, die geisterhaft und unerreichbar hinter diesen Namen stehen. Und natürlich hing das alles auch weitgehend mit seiner Blindheit zusammen, wofür er durchaus dankbar war. Wirklich dankbar!
    Blind, aber doch nicht gänzlich blind, denn er sah (oder auch nicht) Weiß in Wellen, Weiß in Abstufungen, Weiß in ganz erstaunlich subtilen Nuancen - wie einzelne Strömungen in einem Strom, der ständig um seinen Kopf war und sich an ihm brach, nicht eingeengt durch Formen, Umrisse, etwas so Banales wie die Andeutung eines räumlichen Gegenstandes.
    Er war offenbar mehrmals operiert worden. Wie oft, das war ihm unbekannt und interessierte ihn auch nicht. In den letzten Wochen hatte man ihm ernsthaft die Möglichkeit einer neuerlichen Gehirnoperation in Aussicht gestellt mit dem (hypothetischen) Ziel, ihm die Bewegungsfähigkeit einiger Zehen des linken Fußes zurückzugeben. Hätte er lachen können, hätte er darüber gelacht, aber vielleicht war würdiges Schweigen in diesem Fall besser.
    Auch Alissas liebe Stimme hatte sich in den Chor freudloser Zuversicht gemischt, aber soweit er wußte, hatte die Operation nicht stattgefunden oder war kein voller Erfolg gewesen. Die Zehen seines linken Fußes waren ihm so fern und fremd wie alle anderen Körperteile.

    »Was für ein Glück, Julius, daß ein anderer Wagen vorbeikam, sonst wäre es womöglich aus mit dir gewesen.«
    Julius Muir hatte offenbar in einem schweren Gewitter die schmale River Road, die Höhenstraße über dem Fluß, befahren, und zwar in hohem Tempo, was ihm nicht ähnlich sah; er hatte die Kontrolle über den Wagen verloren, die unzureichende Leitplanke durchbrochen, war in die Tiefe gestürzt und »wie durch ein Wunder« aus dem brennenden Wagen geschleudert worden. Zwei Drittel der Knochen in dem mageren Körper gebrochen, schwerer Schädelbruch, Wirbelsäule kaputt, eine Lunge verletzt ... So kam - in unregelmäßigen Bruchstücken gleich Scherben einer geborstenen Windschutzscheibe - nach und nach heraus, wie Julius an diese letzte Ruhestätte, an diesen Ort milchweißen Friedens gekommen war ...
    »Julius, Lieber, bist du wach, oder ...?« fragte die vertraute, entschlossen muntere Stimme aus dem Nebel, und er versuchte, ihr einen Namen zuzuordnen. Alissa? Oder ... nein ... Miranda?
    Man sprach davon - manchmal in seinem Beisein -, daß es womöglich eines Tages gelingen könnte, ihm einen Teil seines Augenlichts zurückzugeben. Doch Julius Muir hörte kaum hin, es berührte ihn nicht sehr. Er lebte für jene Tage, an denen er, aus leichtem Dämmerschlaf erwachend,
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