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Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen

Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen

Titel: Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
Autoren: Alexandra Marinina
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auch diese Oper verfilmen. Für die weibliche Hauptrolle der schönen jungen Leonora wurde Alina Wasnis zu Probeaufnahmen eingeladen, für die zweite weibliche Hauptrolle, die alte Zigeunerin Azucena, Soja Semenzowa. Soja war bereits über vierzig, und übermäßiger Alkoholgenuss hatte ihr Äußeres so zugerichtet, dass sie für die Rolle bestens geeignet schien. Und plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, erschien Alina Wasnis bei Degtjar mit einer Forderung, die ihm Zornesfunken in die Augen trieb.
    »Ich will die Azucena spielen«, erklärte das Mädchen.
    »Wen willst du spielen?«, fragte der künstlerische Leiter und zugleich Regisseur des »Troubadour«, in der Annahme, er habe sich verhört.
    »Ich will die Azucena spielen«, wiederholte Alina.
    »Bist du krank? Hast du was am Kopf? Die Azucena? Das ist eine alte Zigeunerin, lies mal das Libretto, wenn du nicht Bescheid weißt. Die Azucena spielt Soja.«
    »Ich habe das Libretto gelesen, und eben darum will ich die Azucena spielen. Die Leonora spiele ich nicht. Die interessiert mich nicht. Eine treue Liebende, die lieber ins Kloster gehen und Nonne werden will als einen anderen zu heiraten. Und als der Geliebte sterben muss, vergiftet sie sich. Ein geradliniger Charakter, so simpel wie ein Laib Brot. Was gibt’s da schon zu spielen?«
    »Genau das, einen geradlinigen Charakter. Ich begreife nicht, was du willst.« Degtjar zuckte mit den Achseln.
    »Die Rolle der Leonora interessiert mich nicht«, wiederholte Alina störrisch. »Geben Sie mir die Azucena.«
    »Aber ich begreife nicht . . .«
    »Wissen Sie was, ich kann das schlecht erklären. Ich schreibe Ihnen lieber eine Rollenanalyse, dann können Sie sich selbst überzeugen.«
    Am nächsten Tag brachte sie Degtjar mehrere in großer, klarer Schrift beschriebene Blätter. Als der Regisseur sie gelesen hatte, steckte er in der Klemme. Alina entdeckte in der Figur der alten Zigeunerin tatsächlich Dinge, die gewöhnlich unbeachtet blieben, jedenfalls war ihm eine solche Interpretation noch nie begegnet. Und er stellte sich sofort vor, wie man das in Bilder umsetzen könnte. Das war reizvoll, bei einem solchen Zugang konnte es ein außergewöhnlicher Film werden, nicht nur bloßes »Bild«, Illustration zu den besten Stimmen der Welt, sondern ein Werk voller Dramatik und echter Tragik. Doch wenn er die Azucena mit der jungen Wasnis besetzte, ergaben sich gleich zwei Probleme: Wer sollte die Leonora spielen? Und was war mit Soja Semenzowa, die bereits Probeaufnahmen gemacht hatte und für die Rolle bestätigt worden war? Na schön, ein Ersatz für Alina war leicht zu finden, junge hübsche Schauspielerinnen gab es wie Sand am Meer. Alina hatte ja im Grunde Recht, die Rolle der Leonora war völlig unkompliziert. Aber Soja . . .
    Mit Soja Semenzowa war es ungemein schwieriger. Sie hatte eine schreckliche Tragödie hinter sich, einen Autounfall mit ihrem Mann und ihrer Tochter, den nur sie überlebt hatte. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus begann sie stark zu trinken und sank von der soliden Schauspielerin der zweiten Garde rasch zur Kleindarstellerin ab, bis sie schließlich ganz ohne Arbeit blieb. Wegen ihrer alkoholbedingten Unzuverlässigkeit und Hysterie wollte niemand mehr mit ihr zu tun haben. Dann war Soja lange in Therapie und rappelte sich wieder auf. Die Azucena war die erste Rolle, die ihr nach einer langen Pause angeboten wurde. Voller Bedenken, nach unzähligen Bitten und Versicherungen ihrerseits, sie sei wieder in Ordnung. Man bedauerte Soja, zudem war sie wirklich keine schlechte Schauspielerin. Wie konnte man ihr jetzt die Rolle wieder wegnehmen, die sie sich mit solcher Mühe, unter solchen Erniedrigungen erkämpft hatte? Wie ihr sagen, dass sie die Azucena nicht spielen würde? Im ›Troubadour‹ gab es nur noch eine weitere Frauenrolle, eine belanglose Randfigur, zudem für eine junge Frau, also absolut nichts für Soja.
    Kurz gesagt, es gab einen furchtbaren Krach. Soja schrie wie am Spieß, drohte, »diese Rotznase« umzubringen, weinte, flehte, warf sich Degtjar fast zu Füßen. Schließlich ginge es um ihre Chance zu beweisen, dass sie wieder arbeiten könne. Und diese Chance werde ihr nun genommen. Und dann auch noch auf diese Art! Das würde doch Gerüchte geben, Getuschel! Danach würde kein Regisseur ihr mehr etwas anbieten. Alle würden denken: Was hat diese Alkoholikerin nun wieder angestellt, dass sie umbesetzt wurde? Mit der ließ man sich wohl besser nicht
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