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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Autoren: Alexandra Marinina
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lachen, während sie sich den Satz in Gedanken in schlichtes Beamtenrussisch übersetzte: »Ich kann dir natürlich helfen, aber ich habe auch das Recht es nicht zu tun, und es macht mir nun mal ziemlich Spaß, von diesem Recht Gebrauch zu machen und meine Macht auszuspielen. Doch wenn du richtig fragst und dich erniedrigst, dann könnte es sogar sein, daß ich dir entgegenkomme.« Es stand dem Alten so deutlich ins Gesicht geschrieben, daß Nastja kehrtmachte und ging. Die Erniedrigung bei der Ankunft hatte ihr schon gereicht.
    Als sie bereits draußen auf der Straße war, fiel ihr ein, daß die Uhr auch in der Umkleide des Schwimmbads liegen könnte, sie bog um die Ecke und ging zum anderen Eingang. Das alte Mütterchen, das in diesem Teil des Gebäudekomplexes am Eingang wachte, erwies sich als über die Maßen freundlich und ließ Nastja ohne weiteres durch. Sie hatte die gesamte Damenumkleide erfolglos durchstöbert und lief nun gedankenverloren den Flur entlang, als sie hinter einer Tür Stimmen vernahm. Die eine war ein ihr unbekannter weicher Bariton, die andere gehörte der Trainerin Katja. Nastja erkannte sie an ihrer unsauberen Aussprache.
    ». . . wunderschön. Ganz außergewöhnlich gemacht. Als sei es aus Kasliner Guß. Wo hast du dieses Prachtstück her?« fragte Katja.
    »Geschenkt bekommen«, erwiderte der Mann.
    »So eins würde ich gern meinem Mann kaufen.«
    »Ich dachte, nur wir Männer fangen an, unseren Frauen Geschenke zu machen, sobald wir sie betrügen. Du wirst doch keinen Schuldkomplex haben, mein Schatz?«
    »Ach was.« Katja lachte.
    Wieder auf ihrem Zimmer, dachte Nastja, daß die alte Dame von nebenan wahrscheinlich nicht übertrieben hatte, als sie von sittlicher Freizügigkeit in der ›Doline‹ sprach. Zum Abendessen war es wieder zu spät. Ein Blick auf den Kaffeevorrat, einer in die Schachtel mit Keksen, die nach dem gestrigen Besuch ihrer Nachbarin noch übrig waren, einer in ihren Geldbeutel – daraufhin beschloß Nastja, in die Bar zu gehen, um wenigstens noch irgend etwas zu essen. So oder so mußte sie ihren Stiefvater bitten, Geld zu schicken.
    In der Bar gefiel es ihr. Gedämpfte Beleuchtung, weichgepolsterte Ecksofas, Bilder an den Wänden, ein äußerst zuvorkommender junger Mann hinterm Tresen. Nastja bestellte einen Kaffee und zwei Stück Kuchen, setzte sich an einen Tisch am Fenster und dachte über einen Satz nach, den sie ihrer Meinung nach noch nicht besonders treffend übersetzt hatte.
    »Gestatten Sie?«
    Vor ihr stand, mit einer Tasse in der Hand, ein sympathischer Blonder in Jeans, italienischem Rollkragenpulli und Lederjacke. In der Bar gab es freie Tische genug. Der Blonde wollte ganz offenbar ihre Bekanntschaft machen. Nastja setzte ein strahlendes Lächeln auf.
    »Sehen Sie gern aus dem Fenster?«
    Sie stellte ihm eine simple Falle und wartete gespannt, ob der Blonde hineintappte.
    »Ja, herrliche Aussicht von hier«, meinte dieser sogleich, stellte seine Tasse ab und setzte sich neben sie.
    »In diesem Falle möchte ich Sie nicht dabei stören. Mir ist es ganz gleich, wo ich sitze.« Mit einem noch betörenderen Lächeln nahm Nastja ihre Tasse und ihren Kuchenteller und ging an einen anderen Tisch.
    Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie war auch nicht gerade scharf darauf, die Bekanntschaft des Blonden zu machen. Sie hatte schon seit längerem festgestellt, daß es viele ganz gewöhnliche Sätze gab, die einen in eine ausweglose Lage bringen konnten. Es erinnerte sie an ein Spiel, dessen Regeln vor Urzeiten erfunden worden waren und bei dem gewissermaßen alle, ob sie wollten oder nicht, mitspielen mußten. Was antwortet man, wenn man gefragt wird: »Sie gestatten?« – »Nein, ich gestatte nicht«? Zu grob. Mit »ja« zu antworten gab Anlaß, eine Unterhaltung anzufangen. Wenn man aber keine Lust hatte sich zu unterhalten? Mit mürrischem Gesicht dahocken und die Unterhaltung abwürgen? Ebenfalls unhöflich.
    Sie hatte das zweite Stück Kuchen gegessen, den Kaffee ausgetrunken und wollte gerade gehen, als der Blonde erneut vor ihr stand.
    »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Test mit eins bestanden«, meinte er feierlich.
    Nastja zog stumm die Augenbrauen hoch und sah ihn ungläubig an.
    »Auf elegante und originelle Weise haben Sie mir zu verstehen gegeben, daß ich Sie nicht behelligen soll, und sind dabei noch äußerst höflich geblieben. Bravo! Normalerweise lügen die Mädchen entweder, ihr Tisch sei besetzt, obwohl sie den ganzen Abend
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