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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Autoren: Alexandra Marinina
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das, daß er, Starkow, es tun mußte und kein Recht hatte, darüber nachzudenken, ob ihm das gefiel oder nicht. Denken hätte er vorher müssen, sagte er sich, denken hätte er damals müssen, als er noch ein junger Offizier beim KGB war und vor der Wahl gestanden hatte. Die Wahl war ihm nicht leicht gefallen, mehrere Monate hatte er überlegt, bevor er Denissows Vorschlag annahm. Aber nach dem Entschluß hielt er sich nicht mehr für berechtigt, nach links und rechts zu schauen und andere Menschen und ihre Handlungen zu beurteilen. Wie der Strauß seinen Kopf in den Sand steckt, schnitt sich auch Starkow von der Welt ab, die für ihn nur noch aus der Erfüllung der von Denissow bezahlten Aufgaben bestand. Wenn also einer seiner nächsten Assistenten heute sagte: »So weit haben wir’s gebracht! Jetzt werden wir schon von einem Backfisch kommandiert!« – verstand der Leiter des Aufklärungsdienstes überhaupt nicht, wovon dieser sprach. Niemand kommandiert niemanden, es hatte sich nur ein Mensch gefunden, der aufgrund verschiedener Umstände besser wußte, was und wie es zu tun war. Unter anderen Umständen konnte auch er dieser Mensch sein, aber es kam eben auch vor, daß es andere waren. Das war alles. Und daß die Kamenskaja ein Backfisch sein sollte, das war überhaupt Unsinn. Sie war eine äußerst ernsthafte, sehr umsichtige und sehr anziehende junge Frau. Auf dem Foto, das Schachnowitsch ihm gleich nach ihrer Ankunft überreicht hatte, sah sie wirklich ein wenig zum Fürchten aus, aber diesen Fotos hatte Anatolij Wladimirowitsch nie sehr getraut. Im Leben jedoch war sie beinahe eine Schönheit. Er fühlte sich überhaupt nicht erniedrigt durch die Zusammenarbeit mit ihr, im Gegenteil, er hatte doch als erster vorgeschlagen, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, weil das im Interesse der Sache war.
    Starkow hatte es gefallen, daß sie heute morgen von ihrem nicht erfüllten Versprechen gesprochen hatte, er schätzte Verbindlichkeit bei den Menschen. Und in der Tiefe seines Herzens war er Anastasija Kamenskaja dankbar, daß sie Lew Repkin mit solcher Deutlichkeit hinausgeworfen hatte. Nein, gar so kaltblütig war der Chef von Denissows Aufklärungsdienst auch wieder nicht. Immerhin gab es auch Menschen, die er offensichtlich nicht leiden konnte.

Kapitel 13
    TAG VIERZEHN
    Als sie vom Frühstück zurückkam, traf Nastja im Flur wieder auf Igor, der offenbar doch den Kampf mit Liszts Rhapsodie verloren hatte und zu einer Zusatzstunde gekommen war.
    »Was, junges Genie, du schwänzt die Schule?« neckte sie ihn.
    »Guten Tag.« Der Junge sprang freudig auf. »In der ersten Stunde haben wir nur Sport, und in der zweiten Biologie. Zur dritten Stunde bin ich dann da.«
    »Und was habt ihr in der dritten Stunde?« fragte Nastja streng.
    »Mathematik. Mathematik schwänze ich nicht.«
    »Und Biologie kann man also schwänzen?«
    »Na ja.« Igor winkte ab. »Biologie ist kein männliches Fach. Blumen und Schmetterlinge, Stempel und Blütenstaub, Langeweile!«
    »Und die Mathematik ist also männlich?«
    »Na klar. Mathematik, Physik, Chemie, Geschichte – ein richtiger Mann muß das alles wissen.«
    »Was du nicht sagst.« Nastja setzte sich in den Lehnstuhl neben ihn. »Eine interessante Rangordnung hast du da. Und was muß ein richtiger Mann noch wissen und können?«
    »Er muß sich bei Autos und Waffen auskennen«, sagte der junge Musiker selbstsicher. »Es gibt ja auch welche, die einen Volvo nicht von einem Mercedes unterscheiden können.«
    »Ich zum Beispiel«, antwortete ihm Nastja ohne Zögern. »Aber ich bin zum Glück kein Mann, sonst würdest du sofort die Achtung vor mir verlieren. Ich kann auch keinen BMW von einem Opel unterscheiden.«
    »Ist Ihnen schlecht?« Sie hörte die Stimme des Jungen wie durch Watte. »Ich rufe jemand . . . Sie sind so blaß!«
    Sie schüttelte mit Mühe den Kopf und stand vorsichtig auf.
    »Mein Zimmer ist nebenan. Ich lege mich hin, und alles geht vorbei.«
    Nastja verlor den Boden unter den Füßen, alles war verschwommen und drehte sich, sie fand lange nicht das Schlüsselloch, und als sie endlich in ihrem Zimmer war, fiel sie auf das Bett.
    Sie hatte einen Kreislaufzusammenbruch.
    Sie schloß das Telefon nicht an und verpaßte Starkows Anruf um Viertel vor elf. Sie erinnerte sich, daß er anrufen wollte, aber sie hatte nicht die Kraft aufzustehen. Ihr unberechenbarer Kreislauf hatte sie im entscheidenden Augenblick wieder im Stich gelassen.
    * * *
    Als Starkow Nastja nicht
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