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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen
Autoren: Hans Kneifel
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Vorstellung, das Land der Düsternis verlassen zu müssen, traf ihn fast so schwer wie der Verlust seiner Schätze.
    »Ich kenne die Grenze zwischen Niemandsland und Düsterzone«, rief er, nachdem er seine Enttäuschung heruntergeschluckt hatte. »Willst du etwa nach Horien?«
    »Das wirst du erfahren, wenn wir dort sind. Laßt ihn frei, Männer«, rief Prinz Odam. »Verhindert, daß er flieht. Er soll uns führen. Sein Wissen ist äußerst wertvoll… und wenn er gelogen hat, werden wir es schnell herausgefunden haben.«
    »So sei es«, murmelte Necron, in sein neues Schicksal ergeben.
    Die beiden Yarls schlugen stampfend und keuchend einen neuen Weg ein. Sie verwüsteten eine kleine Ebene, tappten durch einen schmalen Bach und wandten sich nach Osten. Necron atmete auf und warf Hrobon einen Blick voller Mißtrauen zu. Das Niemandsland, von dem er aus längst vergangen geglaubten Zeiten wußte, war eine Zone, die zwischen Hell und Dunkel lag, ein Mittelding zwischen der verpönten Normalen Welt und der Düsterzone, etwas, das weder Fleisch noch Fisch war. Das Niemandsland war heller; dies war der augenfällige Unterschied.
    Necron zog die Schultern hoch. Er dachte pragmatisch, den herrschenden Umständen angemessen. Er lebte, alles andere war zweitrangig. Kam Zeit, kam eine günstigere Gelegenheit. Er war zwar gefangen, aber man brauchte seinen Rat. Der wütende Hrobon konnte ihm nichts anhaben, und beide Yarls zogen in östlicher Richtung davon. Für die nächsten Tage konnte er ausschlafen. Er war eines Teils der Verantwortung ledig und hatte nur noch für sich selbst zu sorgen. Als ihm aber seine zwei »Visionen« einfielen, mußte er sich sagen, daß er sich womöglich stark irrte, was die nähere Zukunft betraf. Eines wußte er mit Bestimmtheit: Luxon oder Arruf schien ein ungemein wichtiger Mann zu sein. Die Vorstellung, daß er bei den schwachsinnigen Valunen auf einem Felsen saß und erfundene Geschichten erzählte, vermochte Necron keineswegs zu belustigen.
    Er atmete tief ein und aus und entspannte sich vorübergehend.

2.
    Es war wie eine Nadel, die sich glühend durch seinen Schädel bohrte.
    Eine heisere, von Hohn und Spott triefende Stimme schrie auf ihn ein. Sie existierte nur für ihn. Er kannte sie. Diese Stimme gehörte Achar, dem Dämon der Rache, und Achar meldetete sich abermals. Tödlicher Ernst sprach aus den Gedankenworten des Rachedämons, und ebenso tödliche Furcht schlich sich ins Herz Luxons.
    Luxon, mein Feind!
    Luxon, dessen Leben sich so stark geändert hatte, wie er es selbst in seinen kühnsten Wachträumen nicht einmal vermutet hatte, versteinerte innerlich.
    Ich bin es wieder, dein Feind Achar, der Dämon furchtbarer Rache! Ohne daß du es weißt und merkst, bin ich stets bei dir. Du hast dich mit viel duck und einigem Geschick deines Armpfänders Dryhon entledigt. Noch zwei Pfänder besitzen die anderen. Du wirst es nicht schaffen, du kannst nicht so viel Können, List und Mut aufbringen, um der ewigen Nacht, der endlosen Dunkelheit und der unendlichen Qual entgehen zu können.
    Luxon wußte jetzt, daß es wieder um seine Augen ging. Die Vorstellung, blind zu werden, erfüllte ihn mit panischer Furcht. Die Stimme des Dämons sprach weiter.
    Dein Pfand wird dich in die Tiefe entsetzlicher Demütigungen und in tiefes Elend stürzen. Ich sehe zu, empfinde mit und werde mich an deiner heillosen Furcht weiden. Vergiß mich nicht, denn auch ich werde dich nicht vergessen. Dessen kannst du gewiß sein!
    Achar schwieg.
    Der Ruf des Dämons zerstreute die letzten Zweifel und vernichtete die Hoffnungen, die neu aufgekeimt waren. Luxon sah vor seinen Augen nur wirbelnde Schwärze. Und als er begriff, daß sich Achar die gefährlichste Möglichkeit und den am meisten gefährlichen Moment ausgesucht hatte, verdoppelte sich seine Angst.
    Er blieb starr stehen. Unter seinen Füßen fühlte er das Zittern und Schwanken der Hängebrücke.
    Die schroffen, sandfarbenen Felsen – eben noch hatte er ihre Spalten und Überhänge vor Augen gehabt – warfen das zischende Brodeln des reißenden Wassers zurück. Siebzig Mannslängen oder mehr unter der schwankenden, knirschenden Konstruktion aus mürben Seilen und halbmorschen Knüppeln und Bohlen schoß der Bach über Steine, wand sich zwischen natürlichen Hindernissen dahin und staute sich an Geröll und Schwemmgut auf. Das rauschende Tosen erfüllte die Schlucht. Luxon versuchte, sich zurechtzufinden, und streckte seine zitternden Finger nach
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