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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen
Autoren: Hans Kneifel
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beiden Seiten aus. Er fühlte an den Fingerkuppen die harten, stacheligen Fasern eines dicken Seiles.
    »Uinaho!« schrie Luxon auf. »Hilf mir!«
    »Was ist mit dir los?« rief der Heerführer zurück.
    »Meine Augen!« gab Luxon zurück. Einer der wenigen, der seinen richtigen Namen kannte, war Uinaho. »Sie spielen mir einen Streich. Ich kann nichts mehr sehen.«
    Jede Bewegung, selbst die geringste, übertrug sich auf die Hängebrücke: Sie schwankte noch stärker, als von der gegenüberliegenden Seite der Schlucht mehrere Männer auf Luxon zurannten. Es waren Nomaden, und vor ihnen rannte Uinaho. Nur Luxon und er hatten, nachdem sie mit den Nomaden von Horien zusammengetroffen waren, das fremde Stammesgebiet betreten dürfen. Deswegen hatten sich die beiden Männer über die zerbrechlich aussehende Brücke gewagt. Unbekanntes Gebiet lag vor ihnen. Die Stimme des kahlschädeligen Anführers hallte dicht vor dem erblindeten Luxon:
    »Wir kommen… ich bin gleich bei dir.«
    Zweimal hielt Uinaho an, weil die Brücke zu stark schwankte. Sie bewegte sich nicht nur hier in der Mitte auf und ab, sondern pendelte nach beiden Seiten. Luxon spürte in seinem Magen eine Mischung aus Angst und Übelkeit. Und schon schlug Luxon der heiße Atem Uinahos entgegen. Finger legten sich hart auf sein Handgelenk.
    »Danke«, stieß er hervor. »Ich sehe schon wieder etwas.«
    Es war, als wache er auf und müßte den Gebrauch seiner Augen in ganz kurzer Zeit wieder neu lernen. Zuerst sah er nur die Augen des Mannes dicht vor ihm, dann dessen Kopf, die Schultern, und schließlich erkannte Luxon wieder jene Stelle der Hängebrücke, an der alle Seile zusammenzulaufen schienen und sich hinter den beiden Horiern zwischen Felswänden im Einschnitt vereinigten.
    »Ich vermag wieder zu sehen«, sagte er und holte tief Luft. »Grauenhaft. Plötzlich war ich blind.«
    »Leidest du öfters an Anfällen von Blindheit?« wollte der Haarlose wissen. Er ließ Luxons Handgelenk nicht los und zog ihn langsam mit sich, auf die zwei Nomaden zu. Die Fremden waren stehengeblieben und starrten schweigend auf die verwunderliche Szene. Nur Uinaho und Luxon durften die Brücke passieren.
    »Nein. Es ist das erstemal«, log keuchend Luxon.
    Schnell stiegen sie die wieder ansteigende Hälfte der Brücke hinauf. Nur langsam beruhigte sich Luxon. Er wußte jetzt, daß es erst die zweite Attacke Achars gewesen war. Viele andere würden folgen. Er. warf einen Blick in die Tiefe und zuckte zusammen. Ein Fehltritt würde ihn in diesen Abgrund gestürzt haben.
    Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er sich vom letzten knarzenden Balken auf den sicheren Grund schwang. Die Nomaden starrten ihn an. Einer deutete in das unbekannte Gebiet und sagte:
    »Elejid ist unser Brahid, der Stammesführer also. Er erwartet euch.«
    Die Nomaden, gekleidet wie Bewohner der Wüste, schienen über die Ankunft des riesigen Hochzeitszugs ebenso wenig erfreut zu sein wie über die Anwesenheit dieser zwei Männer. Was sie darüber dachten, daß einer davon unter Anfällen plötzlicher Blindheit litt, ließen ihre dunklen, stechenden Augen und ihre verschlossenen Gesichter nicht erkennen. Sie waren zweifellos fremdscheu. Die Scheu konnte schnell in Haß umschlagen.
    Uinaho zog zwischen den Falten seines Umhangs zwei Amulette hervor, warf einige schwer zu deutende Blicke darauf und hob die Schultern. Ein Nomade sah schweigend auf dieses Tun.
    »Wie weit ist das Lager entfernt?« fragte Luxon. Ein Nomade, der vor ihm einen kaum sichtbaren Pfad entlangging, drehte sich herum und sagte:
    »Wir brauchen nicht lange. Hinter den Felsen warten Orhaken.«
    »Auch für uns?« erkundigte sich Uinaho. Schweiß glänzte auf seinem haarlosen Schädel.
    »Keine Sorge. Der Gast ist immer unser Freund.«
    Die Antwort klang keineswegs begeistert. Aber die Krieger würden dem Befehl ihres Brahid gehorchen, ebenso, wie sie ihren Stamm nach ihm bezeichneten. Sie nannten sich Elejiden. Schweigend folgten die beiden Männer aus dem Ay-Hochzeitszug.
    Die eigenen Krieger, die auf ihren Tokapis Luxon und Uinaho bis an die Grenze des Stammesgebiets begleitet hatten, waren zurückgeblieben und nicht mehr zu sehen. Es gab nur noch wenige Tokapis. Aber das bergige Land, das ihrer Heimat ähnelte, erfüllte die Reittiere, wie es schien, mit neuer Kraft.
    Horien war, wie man wußte, dem Shalladad Hadamurs eingegeliedert. Die Vogelreiter des Shallad hatten es schwer, die freiheitsliebenden Nomaden dieses
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