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Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam
Autoren: Ian McEwan
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nicht davor zurück, Greueltaten auf beiden Seiten zu, äh, verurteilen…«
    Vernon erzählte niemandem von dem stechenden Schmerz in seinem Oberarm und davon, daß er erst jetzt, wenn auch nur undeutlich, begriffen hatte, wo er sich wirklich befand, was in seinem Champagner gewesen sein mußte und wer diese Besucher waren.
    Aber er unterbrach seinen Redefluß und verstummte eine Weile. Schließlich murmelte er ehrfürchtig: »Jetzt verderben sie mir das Geschäft.«

[207]  6
    In derselben Woche beschloß der Premierminister eine Kabinettsumbildung, und es wurde allgemein vermutet, daß es das Foto im Judge war, welches Garmony den Kopf kostete, da mochte die öffentliche Meinung noch so sehr zu seinen Gunsten ausfallen. Im Laufe eines Tages mußte der ehemalige Außenminister erfahren, daß in den Korridoren der Parteizentrale und bei den Hinterbänklern wenig Lust auf eine Wachablösung im November bestand: Draußen im Lande mochte die Politik der Gefühle ihm Vergebung oder zumindest Nachsicht zuteil werden lassen, Politiker aber schätzen derartige Wehrlosigkeit an einem angehenden Führer nicht. Sein Schicksal war ebenjene Vergessenheit, die ihm der Chefredakteur des Judge gewünscht hatte; daher konnte Julian Garmony, ohne mit Staatspapieren beladen oder von Beamten begleitet zu sein, sich zur Prominentenlounge des Flughafens begeben, zu der sein bisheriger Status ihm noch immer Zutritt verschaffte. An der Bar begegnete er George Lane, der sich gerade einen kostenlosen Scotch genehmigte.
    »Ah, Julian. Setzen Sie sich doch zu mir, ja?«
    Die beiden Männer, die sich seit Mollys Beerdigung nicht mehr gesehen hatten, schüttelten einander argwöhnisch die Hand. Garmony hatte Gerüchte gehört, denen zufolge es Lane war, der die Fotos verkauft hatte; Lane wußte nicht, [208]  wieviel Garmony wußte. Garmony seinerseits war nicht sicher, welche Haltung Lane gegenüber seiner Affäre mit Molly einnahm. Lane wußte nicht, ob Garmony merkte, wie sehr er, George, ihn verachtete. Sie sollten gemeinsam nach Amsterdam fliegen, um die Särge nach England zu geleiten, George als alter Freund der Hallidays und Vernons Gönner beim Judge, Julian auf Veranlassung der Linley-Stiftung als Clives Fürsprecher im Kabinett. Das Kuratorium hoffte, daß die Anwesenheit des ehemaligen Außenministers den Papierkram beschleunigen würde, der die grenzüberschreitende Überführung einer Leiche verzögert.
    Sie trugen ihre Getränke durch die überfüllte Prominentenlounge – heutzutage waren die meisten Menschen prominent – und fanden an der Tür zu den Toiletten ein verhältnismäßig leeres Eckchen.
    »Auf die Dahingefahrenen.«
    »Die Dahingefahrenen.«
    Garmony dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Hören Sie, da wir nun schon einmal zusammenhocken, sollten wir die Sache vielleicht aus dem Weg räumen. Haben Sie die Bilder zur Verfügung gestellt?«
    George Lane reckte sich ein paar nützliche Zentimeter in die Höhe und sagte in gepeinigtem Tonfall: »Als Geschäftsmann bin ich stets ein loyaler Anhänger der Partei gewesen und habe immer wieder in ihren Fonds einbezahlt. Was hätte ich davon gehabt? Halliday muß auf den Fotos gesessen und auf seine Stunde gewartet haben.«
    »Ich habe gehört, für das Copyright seien Gebote gemacht worden.«
    »Molly hatte das Copyright Linley übertragen. [209]  Vielleicht hat er sich ein paar Pfund damit verdient. Ich wollte ihn nicht fragen.«
    Garmony nippte an seinem Scotch und dachte, daß der Judge natürlich Stillschweigen über seine Quellen bewahrte. Falls Lane log, tat er es überzeugend. Falls nicht, dann sollte Linley mitsamt seinen Werken zur Hölle fahren.
    Ihr Flug wurde aufgerufen. Als die beiden die Treppe zu der wartenden Limousine hinuntergingen, legte George Julian die Hand auf den Arm und sagte: »Wissen Sie, eigentlich haben Sie’s doch verdammt gut überstanden.«
    »Ach, wirklich?« Unmerklich entzog ihm Garmony seinen Arm.
    »Aber ja. Die meisten Männer hätten aus viel geringfügigeren Anlässen zum Strick gegriffen.«
    Eineinhalb Stunden später wurden sie in einem Wagen der niederländischen Regierung durch die Straßen von Amsterdam chauffiert.
    Da sie ziemlich lange nicht mehr gesprochen hatten, sagte George munter: »Ich höre, die Uraufführung in Birmingham ist verschoben worden.«
    »Sogar abgesagt. Giulio meint, das Werk sei ein Reinfall. Die Hälfte der Orchestermitglieder weigert sich, es zu spielen. Anscheinend gibt’s da am Ende eine
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