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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition)
Autoren: Tom Bale
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unverschlossen war.
    Wieder sah sie sich um. Der Killer trabte hinter ihr her, ein wenig schneller schon, und seine finstere Miene ließ vermuten, dass er es vielleicht schon bereute, ihr so viel Vorsprung gelassen zu haben. Der Gedanke verschaffte ihr eine absurde Befriedigung. Er hatte sie unterschätzt.
    Doch mit dem ersten Schritt auf dem Asphalt wurden die Schmerzen in ihrem Knöchel wieder heftiger. Ihr wurde klar, dass sie nicht mehr sehr weit würde laufen können. Sie musste irgendeinen Unterschlupf finden.
    Ein paar Meter neben dem Postauto überquerte sie die Straße und störte dabei eine Krähe mit glänzend schwarzem Gefieder, die auf der Brust des Postboten hockte. Der Vogel fixierte Julia mit seinen pechschwarzen Augen, kam zu dem Schluss, dass von ihr keine Gefahr ausging, und hackte weiter genüsslich im Gesicht des Toten herum.
    Julia schüttelte sich vor Ekel und wandte den Blick ab. Und da sah sie etwas, was weit bedeutungsvoller war: das angsterfüllte Gesicht einer Frau in einem Obergeschossfenster der Häuserreihe. Ein kurzer, schuldbewusster Blickkontakt, und dann war sie verschwunden. Hätte sich die Gardine nicht noch einen Moment bewegt, nachdem sie sie losgelassen hatte, Julia hätte glauben können, sie habe sich alles nur eingebildet.
    Sie steigerte ihr Tempo und verzog das Gesicht, als ihr Knöchel protestierte. Verzweifelt klammerte sie sich an der Vision fest, dass eine Haustür sich öffnen, dass die Frau sie hereinwinken würde. Wenn sie im richtigen Moment aufmachte, könnte Julia hineinspringen und die Tür hinter sich zuschlagen, ehe der Killer reagieren konnte. Dann könnte sie sich mit der Frau im Haus verbarrikadieren. Ausharren, bis Hilfe käme, oder vielleicht sogar eine Waffe auftreiben und sich zur Wehr setzen.
    Julia war in der Mitte des Dorfplatzes angelangt und glaubte immer noch, dass sie es schaffen könnte, sich in Sicherheit zu bringen, als die Kugel sie zu Fall brachte.
     
    Sie hörte sie nicht kommen. Und im ersten Moment spürte sie auch nichts. Nur ein Kältegefühl auf der Haut, eine irritierende Reibung, und als sie nach unten sah, war ihre Jeans schon mit Blut getränkt. Die Kugel hatte ihre rechte Wade gestreift und einen Streifen Fleisch herausgerissen.
    Einen Sekundenbruchteil später setzte schlagartig der Schmerz ein. Ihr Bein verkrampfte sich, und sie fiel der Länge nach hin. Sie landete unglücklich auf einem Arm, und ihr blieb die Luft weg.
    Mistkerl , dachte sie. Das war nicht fair!
    Sie wälzte sich herum und sah ihn vor dem Friedhofseingang stehen. Er sah hochzufrieden aus, als sei es genau seine Absicht gewesen, ihr einen Streifschuss zu versetzen. Er hatte wieder die Kontrolle übernommen. Jetzt würde der Spaß erst richtig losgehen.
    Irgendein tief verwurzeltes Programm ließ nicht zu, dass sie sich ergab. Sie rappelte sich mühsam auf. Ihr rechtes Bein konnte ihr Gewicht nur sekundenweise tragen. Sie sah, dass sie nur fünf oder sechs Meter von der Eibe entfernt war, und der Instinkt trieb sie darauf zu, auch wenn ihr Verstand genau wusste, dass es sinnlos war, sich dort verstecken zu wollen.
    Mit letzter Kraft wankte sie auf den Baum zu. Ein Schritt. Noch einer. Am schlimmsten war es, dem Killer den Rücken zuwenden zu müssen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie rechnete jeden Moment mit der nächsten Kugel. Wahrscheinlich würde er wieder auf ihre Beine zielen. Für das, was er mit ihr vorhatte, wollte er sie sicher bei Bewusstsein haben.
    »Du – elende – feige – Ratte!«
    Die Stimme kam aus dem Nichts. Kein lautes Rufen, sondern ein verbissenes Grollen, stockend und wie unter furchtbaren Schmerzen hervorgestoßen. Julia und der Killer reagierten gleichzeitig darauf.
     
    Es war Philip Walker. Er war ein hochgewachsener, hagerer Mann von vielleicht siebzig Jahren, und sein Gesicht war fast so weiß wie sein Haar. Er lehnte zusammengekrümmt im Hauseingang der alten Schule und drückte sich ein blutgetränktes Handtuch auf die Brust.
    Julia hörte den Killer unwillig grunzen. Mit dieser Störung hatte er nicht gerechnet. Offensichtlich hatte er geglaubt, Walker sei tot. Der alte Mann fing ihren Blick auf und nickte beinahe unmerklich. Sieh zu, dass du verschwindest.
    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Killer sich umdrehte und auf das alte Schulhaus zuging. Das hätte ihr neue Hoffnung geben sollen, doch stattdessen überkam sie die furchtbare Versuchung, sich einfach ins Gras sinken zu lassen, die Augen zu
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