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American Gods

American Gods

Titel: American Gods
Autoren: Neil Gaiman
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also zwei Tage früher raus.« Shadow nickte und wartete auf das dicke Ende. Der Direktor sah auf das Schriftstück vor sich hinab. »Das hier hat uns aus dem Johnson Memorial Hospital in Eagle Point erreicht … Ihre Frau. Sie ist heute am frühen Morgen gestorben. Es war ein Autounfall. Mein Beileid.«
    Shadow nickte noch einmal.
    Wilson führte ihn wortlos zurück zur Zelle. Er schloss die Zellentür auf und ließ Shadow eintreten. Dann sagte er: »Das ist wie bei einem von diesen ›Ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht‹ – Witzen, was? Die gute Nachricht ist, wir lassen dich vorzeitig frei, die schlechte Nachricht, deine Frau ist tot.« Er lachte, als wäre das alles überaus komisch.
    Shadow sagte überhaupt nichts.
     
    Wie betäubt packte er seine Habseligkeiten zusammen, das meiste verschenkte er. Er ließ Low Keys Herodot ebenso zurück wie das Buch über die Münzentricks und gab auch, was ihm einen kurzen Stich versetzte, die blanken Metallscheiben weg, die er aus der Werkstatt geschmuggelt und die ihm als Münzen gedient hatten. Er rasierte sich. Er zog zivile Kleidung an. Er ging durch eine Tür nach der anderen, wusste, dass er sie nie wieder durchqueren würde, und fühlte sich innerlich leer.
    Der Regen fiel jetzt in Böen aus dem grauen Himmel, ein gefrierender Regen. Kleine Eiskugeln stachen Shadow ins Gesicht, und sein dünner Mantel wurde völlig durchnässt, während er mit den anderen auf den ausrangierten gelben Schulbus zuging, der sie in die nächste Stadt bringen sollte.
    Als sie den Bus erreicht hatten, waren sie alle klatschnass. Es waren acht Mann, die freikamen. Fünfzehnhundert blieben zurück. Shadow saß im Bus und zitterte vor Kälte, bis endlich die Heizung lief, und er fragte sich, was er tun, wo er jetzt hingehen solle.
    Geisterbilder schwirrten ihm durch den Kopf, ohne dass er sie aufgerufen hätte. In seiner Fantasie verließ er ein anderes Gefängnis, vor langer Zeit.
    Er war lange, viel zu lange, in einem lichtlosen Raum eingesperrt gewesen: Sein Bart war wild und das Haar verfilzt. Die Wärter hatten ihn eine graue Steintreppe hinunter und dann hinaus auf einen Platz geführt, auf dem ein reges Treiben herrschte: viele Menschen und viele leuchtend bunte Dinge. Es war Markttag, und er war überwältigt von dem Lärm und den Farben, er blinzelte ins Sonnenlicht, das auf den Platz fiel, roch die salznasse Luft und all die guten Sachen an den Ständen, und zu seiner Linken glitzerte die Sonne vom Wasser …
    Ruckend kam der Bus an einer roten Ampel zum Stehen.
    Der Wind heulte über den Bus hinweg, die Wischer schoben sich ächzend über die Windschutzscheibe und verschmierten die Stadt draußen in eine rotgelbe Neonnässe. Es war früher Nachmittag, aber durchs Fenster wirkte es wie später Abend.
    »Scheiße«, sagte der Mann auf dem Sitz hinter Shadow, indem er mit der Hand über das beschlagene Fenster wischte und einer nassen Gestalt nachstarrte, die den Bürgersteig entlangeilte. »Da draußen laufen die Mösen rum.«
    Shadow schluckte. Ihm fiel auf, dass er nicht hatte weinen müssen – dass er noch nicht einmal etwas gefühlt hatte. Keine Tränen. Kein Leid. Nichts.
    Plötzlich musste er an einen Burschen namens Johnnie Larch denken, mit dem er anfangs nach seiner Einweisung die Zelle geteilt hatte und der ihm erzählt hatte, wie er einmal nach fünf Jahren Haft wieder rausgekommen sei, in der Hand einhundert Dollar und ein Ticket nach Seattle, wo seine Schwester wohnte.
    Am Flughafen angelangt, hatte Johnnie Larch der Dame am Schalter sein Ticket gezeigt, worauf diese seinen Führerschein zu sehen wünschte.
    Er zeigte ihn ihr. Der Führerschein war seit ein paar Jahren abgelaufen. Sie erklärte ihm, dass es kein gültiger Identitätsausweis sei. Er erwiderte, dass es vielleicht kein gültiger Führerschein sei, aber doch weiß der Geier ein ausgezeichnetes Ausweispapier, und verdammt noch mal, wer solle er denn ihrer Ansicht nach sein, wenn nicht er selbst?
    Sie sagte, sie wäre ihm verbunden, wenn er nicht so schreien würde.
    Er verlangte, dass sie ihm endlich die Scheißbordkarte aushändigen möge, anderenfalls es ihr noch Leid tun werde, er lasse sich hier nicht derart respektlos behandeln. Im Gefängnis, so Johnnie Larch, lasse man sich ja auch um keinen Preis respektlos behandeln.
    Dann drückte sie auf einen Knopf, und kurz darauf erschienen die Sicherheitsleute, die Johnnie Larch anhielten, das Flughafengelände ohne Aufhebens zu verlassen, aber
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