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American Gods

American Gods

Titel: American Gods
Autoren: Neil Gaiman
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richtig lange und gründlich einweichen lassen, in einer Wanne mit viel Schaum. Vielleicht dabei Zeitung lesen, vielleicht auch nicht. Manchmal gingen seine Präferenzen in die eine Richtung, manchmal in die andere.
    Zweitens würde er sich abtrocknen und danach einen Bademantel anziehen. Eventuell auch Pantoffeln. Der Gedanke an Pantoffeln war ihm angenehm. Wäre er Raucher, würde er sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eine Pfeife anzünden, aber er war Nichtraucher. Er würde seine Frau hochheben (»Hündchen«, würde sie scheinbar entsetzt, aber in Wahrheit voller Vergnügen kreischen, »was hast du vor?«). Er würde sie ins Schlafzimmer tragen und die Tür zumachen. Falls sie zwischendurch Hunger kriegten, würden sie sich eine Pizza kommen lassen.
    Drittens würde er, nachdem er und Laura, ein paar Tage später vielleicht, das Schlafzimmer wieder verlassen hätten, sich schön bedeckt halten und für den Rest seines Lebens allem Ärger aus dem Weg gehen.
    »Und dann wirst du glücklich sein?«, fragte Low Key Lyesmith. Sie arbeiteten an diesem Tag in der Gefängniswerkstatt, wo sie Vogelhäuser zusammensetzen mussten, was auch nicht viel interessanter war, als Nummernschilder auszustanzen.
    »Heiße keinen Menschen glücklich«, sagte Shadow, »als bis er tot ist.«
    »Herodot«, sagte Low Key. »He, du hast was gelernt.«
    »Wer zum Teufel ist Herodot?«, fragte der Iceman, während er die Seiten von Vogelhäusern zusammenfügte, um sie dann an Shadow weiterzureichen, der sie schließlich fest zu verschrauben hatte.
    »Toter Grieche«, sagte Shadow.
    »Meine letzte Freundin war Griechin«, sagte der Iceman. »Ihre Familie, ey, was die für Scheiß gefressen haben, du glaubst es nicht. Reis, den die in Blätter gewickelt haben, und solche Scheiße.«
    Der Iceman verfügte über die Größe und Gestalt eines Cola-Automaten, hatte blaue Augen und blondes, fast weißes Haar. Er hatte einen Mann zusammengeschlagen, der dummerweise in der Bar, wo der Iceman als Türsteher fungierte, dessen Freundin angetatscht hatte. Sie war dort als Tänzerin beschäftigt. Die Freunde des Typen hatten die Polizei gerufen, welche den Iceman festnahm, um ihn einer Personenüberprüfung zu unterziehen, wobei herauskam, dass der Iceman sich bereits seit achtzehn Monaten einer »Arbeit statt Strafe«-Maßnahme entzog.
    »Was sollte ich denn tun?«, hatte der Iceman gekränkt gesagt, als er Shadow die ganze traurige Geschichte berichtete. »Ich hab ihm gesagt, dass sie meine Freundin ist. Hätte ich zulassen sollen, dass er mich so respektlos behandelt? Ja? Der hat sie doch überall angefasst!«
    Shadow hatte daraufhin nur »Mann, Mann« gesagt und es dabei belassen. Eines hatte er früh gelernt: Im Gefängnis sitzt man nur die eigene Strafe ab. Man sitzt nicht die Strafe von anderen Leuten mit ab.
    Immer schön bedeckt halten. Sitz deine – und nur deine – Strafe ab.
    Lyesmith hatte Shadow ein paar Monate zuvor eine zerschlissene Taschenbuchausgabe von Herodots Historien geliehen. »Das ist kein bisschen langweilig. Echt cool«, sagte er, als Shadow einwandte, dass er keine Bücher lese. »Lies es erst mal, und dann sag mir, dass es cool ist.«
    Shadow hatte das Gesicht verzogen, dann aber doch zu lesen angefangen und fand sich schließlich gegen seinen Willen gefesselt.
    »Griechen«, sagte der Iceman jetzt angewidert. »Und es stimmt auch nicht, was die Leute erzählen. Ich hab versucht, es meiner Freundin im Arsch zu besorgen, da hat die mir fast die Augen ausgekratzt.«
    Lyesmith wurde eines Tages ohne Vorankündigung verlegt. Er hinterließ Shadow seinen Herodot. Zwischen den Seiten war eine Fünfcentmünze versteckt. Münzen waren Schmuggelware: Man konnte die Kanten an einem Stein scharf schleifen und jemandem bei einem Kampf das Gesicht damit aufschlitzen. Shadow wollte aber keine Waffe; Shadow wollte nur seinen Händen etwas zu tun geben.
    Shadow war nicht abergläubisch. Er glaubte an nichts, was er nicht sehen konnte. Und doch spürte er in diesen letzten Wochen, wie das Unheil über dem Gefängnis dräute, genau wie er es in den Tagen vor dem Raubüberfall gespürt hatte. Ein hohles Gefühl machte sich in der Magengrube bemerkbar, aber er sagte sich, dass das nur die Beklommenheit sei, wieder zurück in die Außenwelt zu müssen. Sicher konnte er sich da allerdings nicht sein. Er fühlte sich paranoider als gewöhnlich, wobei im Gefängnis die gewöhnliche Paranoia schon stark genug war, weil sie nichts anderes als
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