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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Autoren: Hanna Molden
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ein.
    Wer oder was jetzt? Bundeskanzleramt? Die Vorstellung, den Portier nach einem ihr völlig unbekannten Hinkenden zu fragen, erschien ihr plötzlich absurd. »Also gut, den Hermann halt«, seufzte Amelie und wählte die Büronummer ihres ständigen Liebhabers.
    Sie und Hermann waren seit bald neun Jahren, was man in Wien »verbandelt« nennt.
    »Doktor Söhnke ist zum Mittagessen verabredet und wird erst gegen vierzehn Uhr wieder da sein«, flötete die Sekretärin. Ob sie etwas bestellen könne. ›Mittagessen – und wird ständig fetter!‹, dachte Amelie und flötete ihrerseits, der Herr Doktor möge so nett sein und sie zurückrufen.
    Sie selbst aß fast nie zu Mittag. Nicht der Linie wegen, das hatte sie nicht nötig, denn Amelie gehörte zu jenen glücklichen Wesen, die keine Gewichtsprobleme kannten. Mittelgroß, perfekt proportionierte Gliedmaßen, kein Gramm Fett. »Cellulitis kennt die Lenz nicht einmal vom Hörensagen«, hatten schon die Studienkolleginnen auf der Kunstschule in München neidvoll festgestellt.
    Die warme Herbstsonne beschien die oberen Reihen der gegenüberliegenden Häuserfront. ›Man müsste etwas Verrücktes tun. Das Geschäft zusperren, in den Wienerwald fahren und durch das raschelnde Laub gehen. Oder im Prater übers Heustadlwasser rudern.‹
    »Gehst du mit mir Schifferl fahren?«, bat sie, als Hermann zurückrief.
    »Wann«, fragte er sachlich. Als sie »Jetzt« sagte, schien er zunächst fassungslos, dann lehnte er besänftigend ab. »Aber Schatzi, ich kann doch hier nicht weg. Außerdem haben wir Montag, das heißt abends bei dir. Du wolltest Hühnchen für mich braten.«
    »Sag nicht Schatzi zu mir«, schnauzte Amelie, »und Hühnchen brate ich nie, ich brate höchstens Hendln!« Sie hängte ein und ärgerte sich, dass sie die Fasson verloren hatte. Heftig drückte sie die Eingangstür ins Schloss, um den verführerisch lauen Tag auszusperren, so heftig, dass das melodische Zwitschern des Spielwerks sich zum Ratschen verknappte.
    Kaum war die Türe zu, wurde sie langsam wieder aufgetan. Kundschaft! Die erste seit dem Hofrat, ›Gott segne Sie‹, dachte Amelie und lächelte der alten Dame entgegen.
    »Nehmen Sie auch Spielzeug in Kommission?«, wollte die Dame wissen. Umständlich wickelte sie eine Puppe aus mehreren Tüchern.
    Amelie verging das Lächeln. »Eigentlich nicht«, sagte sie, während sie das Porzellanköpfchen der Puppe nach einer Marke absuchte. »Keine Markenpuppe. Und sehen Sie, am Kopf ist ein Sprung, irgendwann geklebt…«.
    Das Gesicht der alten Dame legte sich in Abwärtsfalten. ›Wie ein trauriger Dackel‹, dachte Amelie und brachte es nicht über sich, die Frau ungetröstet wegzuschicken. »Lassen Sie sie halt da. Unverbindlich. Ich werde es versuchen.«
    ›Scheißtag. Dabei hat er so gut begonnen, warum ist er nicht geblieben, was er war?‹ Amelie versuchte es wieder mit Bulgakow, aber neuerlich vermochten weder der Meister noch Margarita sie so zu fesseln, dass sie ihr Unbehagen vergaß. Sie pfefferte das Buch in die Schreibtischlade, stand auf und ging zu dem gläsernen Regal, auf dem ihre Lieblinge wohnten: pickende Vögel, hüpfende Frösche, ein wackelndes Zebra. Ein Clown, der im Handstand vorwärts trippelte, ein anderer, der radelte. Ein Reiter auf einem Schaukelpferd, ein Äffchen mit einer Trommel, ein Püppchen mit gelbem Chinesenhut auf einem Schwan. Ein Kettenkarussell, eine Mondrakete, eine winzige Lokomotive… Mechanisches Blechspielzeug. Ihm galt Amelies eigentliche Sammelwut. Von gewissen Stücken würde sie sich um keinen Preis trennen. Sie nahm einen Kanarienvogel und einen Frosch in die linke Hand und versuchte mit der rechten, beide aufzuziehen. Immer wieder stellte sie sich vor, wie es sein würde, wenn alle in ihrem Besitz befindlichen Figuren gleichzeitig aufgezogen und gleichzeitig losgelassen würden. Das Durcheinander, die vielen verschiedenen Geräusche… Trotz Scheißtag lächelte sie bei dem Gedanken. Also lächelte sie, als die Tür aufging und sie sich umdrehte. »Uli! Dass du wieder da bist! Jö bin ich froh!« Sie stürzte dem Eintretenden entgegen und fiel ihm um den Hals.
    Der Umhalste war einige Wochen verreist gewesen. Er drückte sie an sich und wiegte sie in seinen Armen. »Ami, mein Liebling, da bin ich, und ich bleibe auch.« Dann schob er sie von sich, hielt sie an den Schultern und sah ihr in die Augen. »Bist du okay?«
    Ihre beste Freundin nannte Amelie den Bühnenbildner Uli Hahn. Uli war schwul
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