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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Autoren: Hanna Molden
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und Burgi damit konfrontiert.
    »Aber ja, meine Liebe, ich stehe dazu, ich sage es dir auch ins Gesicht«, hatte Burgi ihr in aller Ruhe mitgeteilt. »Du führst dein Geschäft wie ein Hobby. Für deine Art von Spezialkunden bräuchtest du keinen Laden, PC und Telefon in deinem süßen Salettl würden genügen.« Die anschließende Diskussion über die Entbehrbarkeit von Läden für altes Spielzeug hatte der Freundschaft der beiden Frauen keinen Abbruch getan, im Gegenteil, sie hatte sie gefestigt.
    »Zwei Simon-und-Halbig-Puppen! Eine schielende Handspielpuppe mit Stupsnase aus dem Böhmischen, cirka 1905, hinreißend, sage ich dir! Und – halt’ dich fest – eine Barockpuppe! Wahrscheinlich Spanien oder Portugal, ausgehendes 17. Jahrhundert.« Burgis Augen schillerten vor Erregung, als sie Amelie über die Schätze informierte, die sie für die Weihnachtsauktion des Dorotheums im Talon hatte. Amelie beglückwünschte sie, zeigte sich interessiert, gab sich locker, verhielt sich unauffällig. Aber während ihre linke Gehirnhälfte überlegte, für welche ihrer Kunden das Gebotene in Frage käme, tickte in der rechten stetig wie der Pulsschlag ein einziger Gedanke: Ich will den Galoschenmann wiederfinden!

2
    Am Wochenende hatte sich das Wetter wieder beruhigt, die Sonne war hervorgekommen und hatte den letzten Rest der Sintflut aufgetrocknet, die Tage wurden noch einmal warm, der Herbst begann noch einmal zu leuchten. »Sandalen und keine Strümpfe«, murmelte Amelie erfreut vor sich hin, als sie gegen neun Uhr dreißig aus dem Haus trat, um sich auf den Weg zu ihrem Laden zu machen.
    Die Strecke war so kurz, dass Amelie sie nach Schritten zählte. Wie weit entfernt der Laden von ihrem Wohnhaus sei, hatte die Mutter wissen wollen, als Amelie ihr berichtete, dass sie das Passende gefunden habe. Ein paar Schritte bloß, hatte sie der Mutter versichert, sie werde sie zählen. Seither zählte sie. Nicht täglich, aber oft. Rund vierhundert Schritte, wenn sie ausgeruht, ohne Eile, bei trockenem Wetter da hinging. Bei Nässe, Schnee oder Glatteis war diese Anzahl nicht zu halten. Sie steigerte sich mitunter auf vierhundertdreißig und mehr, was an der Kopfsteinpflasterung in ihrem Viertel lag. Dann nämlich entfalteten die alten Granitbuckel ihre Tücken, denen man mit äußerster Vorsicht – trippelnd, schleifend oder stapfend – begegnen musste, wenn man sie heil hinter sich bringen wollte. Andererseits hatte es Amelie, wenn sie unter Zeitdruck stand und sprintete, auch schon mit dreihundertsiebzig geschafft.
    Am Montag nach dem Wettersturz war das Kopfsteinpflaster knochentrocken. Beschwingt ging Amelie durch die kurze, stille, menschenleere Gasse. In ihr gab es kein einziges Geschäft. Und wer in ihr wohnte, war stockbürgerlich und frönte einem geregelten Tagesablauf, das heißt, war längst zur Arbeit oder zur Schule oder zum Einkauf gegangen oder rumorte haushaltsbeflissen in seinen vier Wänden. Wohlgefällig betrachtete Amelie die Fassaden der Biedermeierhäuser, die in den drei Jahren, in denen sie in der Gasse wohnte, fast durchwegs frisch verputzt worden waren. Sie umrundete die erste von drei zu umrundenden Ecken, hörte von fern die Tram durch die Josefstädterstraße rattern und passierte lächelnd die griechischblau gestrichene Eingangstür der Hemdenwäscherei. Ein einziges Mal bloß hatte sie deren Dienste in Anspruch genommen; Hermann, ihr Freund, war weggefahren und hatte ihr einen Binkel Schmutzwäsche hinterlassen, die zu waschen Amelie widerstrebte. Sie trug sie in den blauen Laden und bekam sie, feinsäuberlich in raschelndes Seidenpapier verpackt, retour. Um das Paket eine weiße Schleife mit blauem Aufdruck: Ihr Oberhemd gepflegt wie nie, wir danken sehr und grüßen Sie . Seither schenkte Amelie der Wäscherei mindestens einmal täglich ihr Lächeln.
    Zweihundertneunzig Schritte, die zweite Ecke, Amelie bog in die belebte Josefstädterstraße ein. Sie grüßte in die Bäckerei und winkte dem Iraker zu, der nach Wien gekommen war, um hier Medizin zu studieren und nun den kombinierten Blumen- und Zeitungsstand an der Straßenbahnhaltestelle betrieb. Dann nahm sie die dritte Ecke und stand nach dreihundert und sechsundneunzig Schritten vor ihrem Laden.
    Nie versäumte sie es, kurz innezuhalten und ihn wohlgefällig zu betrachten. Über der schmalen Auslage und dem gleichfalls schmalen Eingang das weiße, von einer schwarz-braun-rot gestrichenen Holzleiste eingerahmte Geschäftsschild: Altes
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