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Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx

Titel: Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx
Autoren: Elizabeth Peters
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Fahrt dauert etwas über vier Stunden und wird von den meisten Reisenden als ziemlich langweilig empfunden, da die Strecke durch das triste Schwemmland des Flußdeltas führt. Das geschulte Auge des Archäologen erkennt allerdings hinter jeder Erhebung, jedem Erdwall, daß dort eine versunkene Stadt verborgen liegt. Ramses und Emerson stritten sich ununterbrochen über den historischen Hintergrund dieser Stätten – eine Diskussion, an der ich mich nicht beteiligte, da ich es für sinnlos halte, Dinge zu erörtern, über die kaum Fakten bekannt sind. Ich erklärte ihnen, daß letztlich nur eine Ausgrabung die Wahrheit ans Licht bringen könnte.
    Erst als wir nur noch wenige Meilen von unserem Bestimmungsort entfernt waren, wurde die Aussicht aufgrund der in purpurfarbenes Licht gehüllten Pyramiden von Gizeh, die sich vor dem Hintergrund der sanften Hügel Libyens erhoben, stimmungsvoller. Es war jedesmal so, daß ich nicht auf dem überfüllten Kai von Alexandria, sondern an diesem Punkt das Gefühl hatte, wirklich in Ägypten zu sein.
    Emerson lächelte mir in stillem Einverständnis zu und wandte sich dann wieder der atemberaubenden Szenerie zu. Er hatte sich widerwillig damit einverstanden erklärt, seinen neuen grauen Anzug zu tragen, und wirkte darin besonders attraktiv – obwohl ich zugeben muß, daß Emersons blendende Figur am besten in seiner Arbeitskleidung zur Geltung kommt, die aus zerschlissenen Hosen und verknautschten Hemden besteht. Natürlich läßt er die Kragenknöpfe offen, und die hochgerollten Ärmel geben den Blick auf seine muskulösen Oberarme frei. Emerson trägt selbst bei Arbeiten unter sengender Sonne keinen Hut, da er diese Art der Kopfbedeckung nicht ausstehen kann, und es ist mir bei aller Überzeugungskraft (die recht erheblich ist) noch nie gelungen, ihn eines Besseren zu belehren.
    Seine elegante Erscheinung wurde lediglich leicht beeinträchtigt durch die riesige, geströmte Katze auf seinem Schoß. Bastet – so der Name dieses Katzenexemplars – starrte mit ebenso großem Interesse aus dem Abteilfenster wie Emerson, und ich überlegte, ob sie vielleicht ahnte, daß sie in ihre Heimat zurückgekehrt war. Ramses hätte das sicherlich bejaht, denn er schrieb diesem Geschöpf außergewöhnliche Intelligenz zu. Seit Bastet uns einige Jahre zuvor zugelaufen war, war sie seine ständige Begleiterin und mittlerweile eine weitgereiste Expertin, da Ramses darauf bestand, sie überallhin mitzunehmen. Ich muß allerdings gestehen, daß sie uns weit weniger Ärger bereitete als ihr jugendlicher Besitzer.
    Ramses – ach, Ramses! Meine wortgewandte Feder streikt, wenn ich mit wenigen Sätzen versuchen soll, die komplexe Persönlichkeit dieses achtjährigen Jungen, meines einzigen Kindes, zu beschreiben. In der Tat behaupten einige abergläubische Ägypter, daß er gar kein Kind ist, sondern daß sich ein Geist seines winzigen Körpers bemächtigt hat. Es gibt gute und böse Geister, geschlechtslose Fabelwesen, die zwischen der Gattung Mensch und Engel angesiedelt sind. Bislang hatte ich mich allerdings noch nie der Mühe unterzogen, herauszufinden, welche Spezies man hinter Ramses vermutete.
    Natürlich war Ramses schmuddelig und zerzaust. Ramses ist fast immer schmuddelig und zerzaust. Wie das Krokodil vom Wasser, so wird er vom Schmutz angezogen. Er war (für seine Verhältnisse) relativ sauber gewesen, als wir den Zug bestiegen. Ungefähr eine Stunde, nachdem wir Alexandria verlassen hatten, sah ich mich um und bemerkte, daß er sich nicht mehr in unserem Abteil befand. Das überraschte mich nicht, denn Ramses besaß ein unheimliches Talent zu verschwinden, wann immer ihm der Sinn danach stand. Allerdings handelte es sich dabei um eine besonders beunruhigende Begabung für einen Jungen, dessen Ungeschicklichkeit bereits im Alltagsleben zu Katastrophen führte, geschweige denn bei seinen Neigungen, Unerlaubtes zu tun.
    Auf Emersons Drängen hin suchte ich den Jungen und fand ihn schließlich in einem Waggon der dritten Klasse, wo er auf dem Boden hockte und sich angeregt mit einer Frau unterhielt, deren aufreizende und ungepflegte äußere Erscheinung keinerlei Zweifel an ihrer Berufsausübung ließ. Ich beförderte Ramses in unser Abteil zurück und wies ihm einen Fensterplatz zu, damit er mir nicht wieder entwischen konnte.
    Auch er hatte sich dem atemberaubenden Anblick der Pyramiden zugewandt. Ich sah nur seinen schmutzigen Hemdkragen und die wilde schwarze Lockenpracht. Doch ich
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