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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman
Autoren: E. O. Wilson
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gegenüberliegenden Ufer über den Auwald.
    «Das müssen Schwalbenweihe sein», meinte Raff. «So einen habe ich noch nie gesehen.» Beflissen ergänzte er: «Die fressen Schlangen, oben auf den Bäumen.»
    Häufig blickten sie musternd zum Himmel und zu den Bäumen empor, vor allem aber hielten sie, ohne sich noch einmal abgesprochen zu haben, Ausschau nach dem Chicobee-Monster. Keiner von beiden sah etwas, was auch nur im Entferntesten darauf hindeutete, abersie erwarteten auch gar nicht wirklich, dass das Ungeheuer sich am helllichten Tag auf ruhigem Wasser überhaupt zeigen würde. Trotz allem hofften sie einfach weiter.
    Und dann war es, als würde eine Tür aufschwingen, und der Wald öffnete sich. Sie kamen an einen sandigen Anleger, auf dem ein kleines Boot wie ihres lag. Ein Trampelpfad, der frei war von Gras und Blättern, führte etwa dreißig Meter weit zu einem kleinen kastenförmigen Haus mit einem verzinkten Schrägdach. Das Häuschen war gut in Schuss. Obwohl es nicht gestrichen war, wirkte es solide, nirgends ein Anzeichen von Verfall. Auf einer Seite waren mehrere Bretter viel heller, wahrscheinlich waren sie vor kurzem ausgewechselt worden. Drei Stufen führten zu einer engen Veranda am vorderen Eingang. Neben der Tür zum Fluss hin lag ein Fenster, das von einem Lichtschutz mit Schnur halb verdeckt wurde, aber es hatte keinen Vorhang.
    Als ihr Boot über den Grund schrammte, stiegen die Jungen aus und zogen es gemeinsam halb auf den Anleger.
    Als sie sich umdrehten, stand da Frogman, kaum drei Meter entfernt. Er musste sie bemerkt haben und aus der Tür getreten sein, während sie das Boot hochzogen.
    Frogman war etwas über 1,80 Meter groß, mit einem schmalen Gesicht und Körper, etwa vierzig Jahre alt, aber so vom Wetter gegerbt, dass er zehn Jahre älter aussah. Sein Gesicht war braun gebrannt und an den Augen und Mundwinkeln tief durchfurcht. Er trug einen altmodischen Blaumann mit Werkzeugtasche auf dem Latz und Hosenträgern, ein beiges Hemd mit geknöpften Manschetten und eine Schirmmütze mit der Aufschrift eines lokalen Sägewerks, FLOMATON LUMBER. Er hatte einenkurzen, ordentlich gestutzten Bart, sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er war barfuß.
    In seiner rechten Hand hielt er eine Pumpgun, die er ruhig auf die beiden Jungen gerichtet hielt.
    Er lächelte nicht.
    «Was zum
Teufel
wollt
ihr
hier?», brüllte er.
    Junior Cody, an Auseinandersetzungen mit Älteren gewöhnt, log geschmeidig. «Sir, wir sind Pfadfinder auf einer Sondermission, und wir wollten bloß kurz vorbeischauen, um Ihnen Guten Tag zu sagen.»
    Frogman blieb ausdruckslos stehen und richtete sein Gewehr leicht neu aus. Dann deutete er mit dem Lauf in Richtung Fluss. Das Gespräch war beendet.
    Raff hatte eine Eingebung. «Sir», sagte er, «Sie haben es wirklich schön hier. So riesige Bäume, und jede Menge Vögel und Schmetterlinge. Wir haben sie im Vorbeifahren gesehen.»
    Frogman stand eine halbe Minute lang reglos da, dann antwortete er laut: «Hast verdammt recht, und wenn hier irgendwelche Scheißkerle auftauchen und mein Grundstück aufmischen, bring ich sie um.»
    Wieder verstummte er, das Gewehr blieb weiterhin auf die Jungen gerichtet.
    Auch dies war eine eindeutige Aufforderung zum Gehen, aber Junior versuchte es noch einmal. «Wir müssen gleich weiter, aber können wir vielleicht bloß einmal Old Ben sehen? Es heißt, er sei der größte Alligator der Welt, so ungefähr drei sechzig groß.»
    «Vier zwanzig», konterte Frogman; er ließ das Gewehr etwas sinken und sprach jetzt in normaler Lautstärke.
    «Vier Meter zwanzig», fuhr er fort. «Hier gab’s früher noch größere Alligatoren, aber die sind inzwischen alleerledigt. Old Ben kriegt ihr trotzdem nicht zu sehen. Der kommt nur nachts raus. Und er bleibt hier bei mir. Ich bewache ihn, füttere ihn mit Welsen und mit Fröschen, denen ich die Beine ausgerissen habe.»
    Frogman, das war allgemein bekannt, ging nachts auf dem Fluss mit Scheinwerfer und Gigboot auf Jagd nach Ochsenfröschen, und am nächsten Morgen brachte er die Schenkel in den nahe gelegenen Tankstellenladen am Potomo Landing. Er ging zu Fuß, nahm nie ein Boot und bekam genug Geld, um verschiedene Einkäufe zu machen. Er sprach nur selten, berichteten die Ladenbesitzer, und blieb nie länger als ein paar Minuten. Jedes Mal waren die Besitzer und anwesende Kunden froh, wenn er wieder ging.
    Frogman verstummte erneut.
    Zeit zum Aufbruch, absolut. Aber als Junior
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