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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern
Autoren: Jack Womack
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begegnen wir ja einer messianischen Figur, Lester McCaffrey, der in die Machenschaften von Dryco verwickelt wird, als der Konzern ihn für seine abartigen Zwecke instrumentalisieren will. Würden Sie zustimmen, daß diese Betrachtungen messianischen Wirkens in der modernen Welt zu Ihren Hauptanliegen zählt?
     
    A: Erlöser sind solch einfache Antworten. Eines der grundliegenden Themen von ›Heathern‹ ist, daß die erlösenden Eigenschaften, die üblicherweise einem Messias zugeschrieben werden, in einem selber liegen und dort gesucht und gefunden werden müssen. Nur wem das gelingt, der kann in einem Monster wie Dryco überleben, weil etwas wie Dryco per definitionem den grundlegenden Gefühlen eines Menschen zuwiderläuft. Darum nannte ich vorhin Dryco in einem allgemeineren Sinn auch ›die Welt‹. Wie überleben in dieser Welt? Wir suchen alle nach diesem erlösenden Etwas.
     
    F: Lester McCaffrey wurde durch seinen Kontakt zu Dryco nicht wirklich korrumpiert, daher scheint er ein geeigneter Messias: in sich selbst ruhend, völlig überzeugt von seinen Taten und Worten.
     
    A: Vergessen Sie aber nicht, daß Lester eine messianische Figur ist; er ist keineswegs ein Messias.
     
    F: Na, er ist ein Messias, halt nicht der Messias …
     
    A: Na gut.
     
    F: Das macht doch wohl einen Unterschied, oder?
     
    A: Ich möchte damit nur gesagt haben, daß er nicht derjenige ist, an den man zuviel Aufmerksamkeit verschwenden sollte. Joanna, die Hauptperson, muß ihm ihre Aufmerksamkeit schenken, aber aus völlig anderen Gründen, als die Drydens ihr unterstellen.
     
    F: Sollte man Ihrer Ansicht nach einem wirklichen Lester McCaffrey Gehör schenken?
     
    A: Nicht unbedingt; das hängt von so vielen Dingen ab. Die Frage ist vielmehr, wie würden wir einem wirklichen Messias begegnen, wie ihn begrüßen? Hörten wir überhaupt seine Botschaft? Oder würde sie wie selbstverständlich von uns in etwas umgebogen werden, das unseren Bedürfnissen entspricht? Mit anderen Worten: Haben die messianischen Botschaften vergangener Tage auch nur annähernd unser Ohr auf jene Art und Weise erreicht, mit der sie ausgesprochen worden sind? Oder überschreibt sie jede Generation mit ihrer eigenen Lesart, daß wir einem nicht mehr zu entziffernden Palimpsest von Meinungen gegenüberstehen, das mit dem ursprünglich Geäußerten nichts mehr gemein hat? Wie stark ist der Grad der Verdrehung zugunsten nachfolgender Generationen, der da stattgefunden hat? Sind sie vielleicht, kaum geäußert, schon verdreht worden? Man denke nur an Jesus Christus und daran, was schon der heilige Paulus aus seiner Hinterlassenschaft gemacht haben mag.
     
    F: Wie unterscheidet sich die messianische Figur in ›Elvissey‹ von Lester McCaffrey?
     
    A: Der Elvis von der anderen Seite ist selbst kein Messias, und er weiß es. Nur Dryco glaubt, daß er als hausgemachter Messias durchgehen könnte. Also haben wir es in ›Elvissey‹ nicht mit dem eben ausgeführten Problem zu tun, daß eine Botschaft verfälscht worden sein mag. Die Botschaft existiert einfach von Konzernseite aus; man braucht nur noch den Kerl, der sie verkörpern soll. Daß der dann damit Schwierigkeiten hat und scheitert, ist etwas anderes.
     
    F: Ich möchte Ihnen eine interessante Stelle aus ›Heathern‹ vorlesen: »Meine Generation zog es vor, allein und als Zeitgeist durch das eigene Haus zu spuken, ohne einen unwürdigen Gedanken an ein unwahrscheinliches Himmelreich zu verschwenden. Wie alle anderen auch, hatte ich zwar Augen, um zu sehen, aber sah nicht, hatte ich ein Herz, aber fühlte nicht. Ich hielt nicht einmal lang genug inne, um mir zu überlegen, was es mir bringen würde, wenn ich es dennoch versuchte. Ich redete mir ein, daß nichts getan werden könne. Daher tat ich nichts.«
     
    A: Na ja, das ist halt das Dilemma unserer Zeit. Unser Leben hat sich derart beschleunigt, daß man sich nur noch durchwursteln kann, arbeiten, arbeiten, arbeiten. Das große Bild verlieren wir dabei aus den Augen. Am Ende eines Tages blickt man zurück und denkt: »Was habe ich eigentlich heute getan?« Ich selbst kann meine Antwort nur durch mein Schreiben geben.
    Das Individuum ist meiner Ansicht nach konfrontiert mit dem Gefühl, alles rausche mit viel zu großer Geschwindigkeit an ihm vorbei, und mit dem Gefühl der Unfähigkeit, sich in größere, soziale Zusammenhänge einzubringen, also einer sozialen Isolation: »An was glauben Sie gleich wieder?« Gibt es denn gar nichts mehr, an
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