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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg
Autoren: Harry Kemelman
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besten Absicht gekommen. Er hat sich alle Mühe gegeben, die Sache wieder einzurenken. Er ist anständig.»
    «Natürlich ist er anständig. Gorfinkle und die anderen sind auch anständig, sonst wären sie nicht so sehr um das Schicksal eines armen Negers besorgt, der in der Tinte sitzt. Aber Anständigkeit ist nicht alles. In den Religionskriegen haben auch lauter anständige Leute gekämpft – aber ihre Anständigkeit hat sie nicht gehindert, Zehntausende zu töten.»
    «Ach, David – du bist so … so starrköpfig! Kannst du nicht einmal ein klein wenig nachgeben? Oder wenigstens einlenken?»
    Er sah sie erstaunt an. «Doch, sicher. Das kann ich durchaus. Und ich tu’s auch, wo es angebracht ist. Aber mit dem Einlenken ist es so eine Sache; man muss aufpassen, dass man nicht vor lauter Lenken nicht mehr geradeaus fahren kann.»
55
    Am Sonntag begann der Gottesdienst um neun statt um halb acht, wie an den Wochentagen. Obwohl das Wetter schön war und er noch reichlich Zeit hatte, nahm der Rabbi den Wagen. Er fuhr nicht direkt zur Synagoge, sondern machte einen Umweg über die Küstenstraße. Ein- oder zweimal hielt er an, um sich an dem Blick auf die Brandung und die tief über die Wellen dahingleitenden Möwen zu freuen.
    Die Straße verlief eine Weile parallel zum Strand; dort, wo sie landeinwärts abbog, sah der Rabbi plötzlich die Hillson-Villa vor sich auftauchen. Als er sich dem Haus näherte, nahm er das Gas weg; er war schon halb entschlossen, anzuhalten und sich ein wenig umzusehen. Aber als er den Mann entdeckte, der an einem Fenster des Nebengebäudes stand und telefonierte, fuhr er doch weiter. Er kam gerade rechtzeitig zum Gottesdienst.
    Heute wurde im Anschluss noch ein Imbiss gereicht, weil sich die Tochter eines Gemeindemitglieds verlobt hatte. Man stand umher, trank Tee oder Kaffee und aß Kuchen und Gebäck – alles aus ungesäuertem Teig zubereitet, wie dies zu Pessach vorgeschrieben ist; das Fest sollte am Abend beginnen.
    Arthur Nussbaum war wieder bei seinem Lieblingsthema angelangt. «Es hat doch keinen Sinn, das viele Geld auf der Bank liegen zu lassen und …»
    «Na, immerhin wirft es Zinsen ab!»
    «Ja – die von den steigenden Kosten aufgefressen werden! Und früher oder später müssen wir die Stühle ja doch auswechseln … Wenn wir’s damals gleich in Auftrag gegeben hätten, als der Synagoge die Erbschaft zufiel, hätten wir für den Betrag die halbe Synagoge neu bestuhlen können. Heute reicht’s noch für ein Drittel, wenn wir Glück haben.»
    «Stell dir das mal vor – zweierlei Stühle in der Synagoge … Grauenvoll!»
    «Umso besser. Je mieser es aussieht, je mehr sich die Leute darüber ärgern, umso eher rücken sie mit dem Geld für die restlichen Stühle heraus!»
    «Bist du sicher? Also, erst gibt’s mal Krach. Und wenn du glaubst, du weißt, was Krach ist seit der Kabbelei um die reservierten Plätze, dann wart mal ab, was los sein wird, wenn im vorderen Drittel lauter neue Bänke stehen!»
    Der Rabbi, der das Gespräch mit angehört hatte, murmelte: «Warum muss man unbedingt vorn anfangen? Man kann doch auch zuerst die hinteren Plätze auswechseln …» In diesem Augenblick entdeckte er Paff und verließ die Gruppe, um zu ihm hinüberzugehen.
    «Sollte das eben ein Witz sein?», fragte Nussbaum unsicher.
    «Das würde doch alles nur noch schlimmer machen. Dann wären aber auch restlos alle sauer.»
    «Na, ich weiß nicht …» Dr. Edelstein wiegte den Kopf.
    «Wenn ihr hinten Polstersitze einbauen wollt – ich bezahl einen, wenn ich ihn reserviert kriege.»
    «Warum nicht?» Irving Kallen nickte. «Mir persönlich kommt’s nicht so darauf an – ich bin ja gut gepolstert. Aber mein Vater …»
    «Wenn man sich’s überlegt», sagte Nussbaum nachdenklich, «so ist es eigentlich nur fair.»
    Brennerman, der in der Nähe stand, begann schallend zu lachen. «Wahrhaftig, Nussbaum – du hast Recht! Der Rabbi hat die ideale Lösung gefunden.»
    Alle sahen ihn ungläubig an.
    «Na klar … Vorne Jiches , hinten Toches . Jetzt kann sich’s jeder aussuchen, ganz nach Belieben.» Er bemerkte Gorfinkle, winkte ihn heran und erzählte ihm lachend die Episode.
     
    Der Rabbi winkte Paff heran und nahm ihn beiseite, sodass sie ungestört waren …
    «Ich habe das Protokoll Ihrer Aussage bei der Polizei gelesen, Mr. Paff», begann er. «Ich nehme an, Sie interessieren sich für die Villa an Tarlow’s Point, um sie zu einer Synagoge umzubauen?»
    «Stimmt, Rabbi …»
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