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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
Autoren: Judith Butler
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Kritik staatlicher Gewalt. Übt man diese Kritik aber, weil man gegen die Grundsätze jüdischer Souveränität ist, die diese Region, das historische Palästina, beherrschen, und weil man für ein Ende der Kolonialherrschaft im Westjordanland und Gaza und für die Rechte der über 750.000 Palästinenser eintritt, die 1948 und dann durch immer weitere Landbeschlagnahmungen gewaltsam vertrieben wurden, dann tritt man damit für eine Politik ein, die die Belange sämtlicher Bewohner dieses Landes gleich und fair berücksichtigen würde. In diesem Fall hätte die Behauptung gar keinen Sinn, es seien spezifisch jüdische Bezugspunkte, die eine Grundlage der politischen Kohabitation, ja der doppelten Nationalität innerhalb eines Staates bieten können, denn es geht ja gerade um die Entwicklung eines politischen Ansatzes, der nicht nur eine Vielfalt von Bezugsrahmen zulässt, sondern zudem für einen Binationalismus eintritt, der überhaupt erst nach dem Ende der Kolonialherrschaft denkbar wird. Statt für einen simplen Multikulturalismus plädiere ich dafür, dass die weitreichende und gewaltsame Hegemonialstruktur, die der politische Zionismus diesem Land und seiner Bevölkerung aufzwingt, beendet wird und an seine Stelle eine neue Politik tritt, die den Siedlerkolonialismus aufgibt und komplexe und antagonistische Formen des Zusammenlebens vorsieht und damit eine Alternative zum desolaten Binationalismus bietet, wie er derzeit praktiziert wird.
    Ebenso wie man sich gegen die hegemoniale Kontrolle des Judentums durch den Zionismus wehren muss, muss man sich auch gegen die koloniale Unterdrückung wehren, die der Zionismus dem palästinensischen Volk gebracht hat. Tatsächlich würde man sich um den erstgenannten hegemonialen Zug (Judentum = Zionismus) gar nicht weiter kümmern, ginge es nicht vorrangig um ein Ende der Unterdrückung. Wie bewegt man sich hier am besten an beiden Fronten zugleich?

Jenseits unhaltbarer Formen des Binationalismus
    Natürlich gibt es innerhalb eines erklärt säkularen Rahmens gute Argumente gegen den politischen Zionismus und für eine Politik der Gleichberechtigung von Palästinensern und Juden im historischen Palästina, Argumente gegen rassistische Formen des Staatsbürgerrechts innerhalb Israels, für die Umkehr jahrzehntelanger Landenteignungen und kolonialer Besiedelung durch den israelischen Staat, für die Selbstbestimmung der Palästinenser und gegen den brutalen Einsatz von Polizei und Militär zum Schutz illegaler Besatzung und dagegen, dass einer ganzen Bevölkerungsgruppe international anerkannte Rechte vorenthalten werden. 22 Der große Vorteil dieser Argumente liegt darin, dass sie eine Sprache sprechen, die als universell gilt und dass sie das Recht zum Widerstand gegen koloniale Unterdrückung einfordern, das allen Bevölkerungsgruppen zukommt, denen effektive Selbstverwaltung, Bewegungsfreiheit und Staatsbürgerrechte vorenthalten werden.Solche Argumente sind wirkungsvoll, und ich werde einige von ihnen hier entwickeln. Abweichend von dieser wichtigen säkularen Tradition bin ich aber der Auffassung, dass man zu diesen Grundsätzen von verschiedenen Voraussetzungen her kommen kann und dass unsere Voraussetzungen nicht notwendig entfallen, wenn man zu Einsichten wie folgender gelangt: Nur durch ein Ende des politischen Zionismus, der den Staat Israel beharrlich auf Prinzipien jüdischer Souveränität gründet, können umfassendere Gerechtigkeitsgrundsätze für die Region umgesetzt werden. Die Frage des kulturellen Zionismus bleibt davon unberührt; er ist nicht notwendig mit der Verteidigung einer bestimmten Staatsform verbunden und betont hier und da auch den Unterschied zwischen Israel als Nation und Eretz Yisrael als Land. Tatsächlich konnte in den frühen zionistischen Debatten der 1920er und 1930er Jahre infrage gestellt werden, ob der Zionismus überhaupt territoriale Ansprüche impliziert. Ich schreibe hier weder vom Standpunkt des kulturellen noch des politischen Zionismus, bin aber überzeugt, dass die Geschichte dieser Unterscheidung verdeutlicht, dass solche Begriffe historische Umkehrungen und Verwandlungen durchlaufen, die wir heute effektiv aus dem Blick verloren haben.
    In den Vereinigten Staaten bedeutet die Frage: »Sind Sie Zionist?« meistens: »Glauben Sie an das Existenzrecht Israels?« Diese Frage setzt immer schon voraus, dass sich aus der bestehenden Form des Staates legitime Gründe für dessen eigene Existenz ergeben. Argumentiert man indes,
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