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Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)

Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)

Titel: Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Autoren: Claire McGowan
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wusste sie genau, wo er war, und es war nicht mehr nötig, sich ständig umzuschauen.
    Keisha ging nach Hause. Es war niemand da. Charlotte war mit Dans Eltern essen gegangen. Das machten sie ständig, und die Mutter beschwerte sich immer, das Essen wär ihr »zu schwer«.
    In der stillen Wohnung griff Keisha zum Telefon und lauschte dem Freizeichen, bevor sie dann die Nummer eintippte, die auf einem Serviettenfetzen stand, den sie aus ihrer Geldbörse hervorgeholt hatte. Dann stand sie da, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ließ es lange klingeln. »Hallo«, sagte sie schließlich und räusperte sich. »Hier ist Keisha. Keisha Collins. Du hast gesagt, wenn’s mal nötig wär, würdest du mir helfen. Tja, jetzt ist es nötig. Ich brauche dringend Hilfe.«
    Charlotte
    Dann fand das alles mit einem Mal ein Ende. Nachdem Dan im Gerichtssaal einen Anfall erlitten hatte, wurde der Prozess vertagt. Anklage und Verteidigung trafen sich zu Gesprächen. Man munkelte manches, und die Presse verbreitete Gerüchte. Das Verfahren solle für ungültig erklärt werden. Es gebe neue Beweise. Was wirklich vor sich ging, schien niemand zu wissen. Charlotte blieb zu Hause und wartete die paar Tage ab. Sie versuchte, Kylie anzurufen, kam aber nicht zu ihr durch. Schließlich bekam sie einen Anruf von Hegarty.
    Er sagte nur: »Es gibt einen neuen Zeugen.«
    »Wer könnte das sein?«
    »Ich weiß es nicht, hab es nicht rausfinden können. Es gibt alle möglichen Diskussionen.«
    »Wahrscheinlich irgendein Gutachter.« Aber was sollte das noch? Sie hatten schon so viele Gutachter aufgeboten, und es war immer nur, als würde man die Mauer der Fakten mit feuchtem Papier bewerfen. Die Überwachungskamera. Die Fingerabdrücke. Der Streit. Selbst das mit der Hintertür hatte letztlich nichts gebracht.
    »Ja, wahrscheinlich.« Er klang sehr müde. »Na, dann auf Wiedersehen, Charlotte.« Er hatte sie noch nicht oft mit ihrem Vornamen angesprochen. Als sie es hörte, machte es sie traurig. Sie wusste nicht, warum.
    An dem Tag, bevor der Prozess fortgesetzt werden sollte, wurde Charlotte sehr früh wach. Sie setzte sich ans Fenster und betrachtete den Sonnenaufgang über Parliament Hill. Keisha war in der Nacht nicht nach Hause gekommen, und Charlotte hatte keine Ahnung, wo sie war und was sie gerade tat. Sie war sich immer noch sicher, dass Keisha mehr wusste, als sie sagte, und diese Gewissheit, die sich anfühlte wie ein Bleigewicht in ihrer Brust, würde wahrscheinlich nie verschwinden. Sie hatte für Dan getan, was sie nur konnte, hatte alles Mögliche für ihn aufgegeben. Aber vielleicht reichte das einfach nicht. Denn was auch immer sie tat – die Fakten blieben bestehen.
    Es klingelte an der Tür, und verwundert ging sie hin und drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Hallo? Oh, hallo, ihr seid’s. Ist alles in Ordnung? Ist er etwa …?« Ihr Herz begann zu pochen.
    »Nichts dergleichen«, sagte Edward Stockbridge in steifem Ton. »Elaine und ich, wir warten unten. Wir möchten dich bitten, dass du uns begleitest.«
    Charlotte saß nervös im Taxi, während Dans Vater seiner Frau aus dem Wagen half. »Ich glaube nicht, dass ich das tun sollte«, sagte sie.
    »Wir halten es für nötig. Es könnte das letzte Mal sein.«
    Sie sah an den Gefängnismauern hinauf. »Aber er will mich nicht sehen.« Scham packte sie, als sie das sagte. Sie hatte mit diesem Mann vier Jahre lang zusammengelebt, hatte ihn heiraten wollen, und er wollte nicht mal von ihr besucht werden.
    Sie spürte eine Berührung am Arm. Elaine Stockbridge hielt ihr ein gebügeltes Baumwolltaschentuch hin. Sie blickte freundlich-neutral.
    »Danke.« Charlotte tupfte sich das Gesicht ab. »Tut mir leid, es ist nur … Ich kann nicht glauben, dass er mich sehen will.«
    Elaine biss sich auf die Lippe, und Edward sagte: »Es geht ihm schlecht. Sehr schlecht. Uns war das nicht bewusst. Was er alles durchgemacht hat …«
    Charlotte erwähnte nicht, dass sie versucht hatte, es ihnen zu erzählen.
    Elaine sagte mit bebender Stimme: »Wir hielten es für eine gute Idee, Charlotte, wenn du ihn noch einmal siehst.«
    Sie schluckte und sah sich auf der morgendlich stillen Straße um. Jede Einzelheit schien sich ihr einzuprägen, die mit Rollläden verrammelten Geschäfte, der Gestank der Müllsäcke, der ferne Lastwagenlärm. London erwachte. Es war vielleicht das letzte Mal, dass sie die Stadt mit diesen Augen sah. Morgen schon könnte alles anders aussehen. Vielleicht
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