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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michael Sears
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auf und knallte gegen die Wand.
    »Stafford!« Das war nicht der Verwaltungsmensch, es war ein dumpfer Wachmann von der Tagschicht. Das bedeutete, dass es schon nach acht war. »Hier lang.«
    Er trat einen Schritt zurück und winkte mich an sich vorbei, nach draußen. Dabei musterte er mich von Kopf bis Fuß, so als rechne er damit, dass ich einen Stuhl geklaut und in meiner Hose versteckt hatte.
    Schließlich stieß er die letzte Tür auf, und ich hatte das Gefühl, nach zwei Jahren das erste Mal wirklich durchzuatmen.
    Mein Vater schloss mich in die Arme. Ich wollte mich dieser Umarmung entziehen, aber dafür fühlte sie sich doch zu gut an. Also ließ ich ihn gewähren, bis er mich schließlich etwas verlegen freigab.
    »Hallo, mein Junge.«
    Ich erwiderte seinen Blick; das war ich ihm schuldig. »Hallo, Paps.« Es wäre viel zu sagen gewesen – wir hätten über Reue reden, einander Vorwürfe machen, Enttäuschung zum Ausdruck bringen können –, aber wir hielten es wie immer. Wir sagten nichts von all dem.
    Es regnete, es war windig. Die letzten Ausläufer des Sommers machten es dem Herbst allzu leicht. Ich fröstelte sofort in der dünnen Nylonjacke, die mein Vater mir mitgebracht hatte. Der Kragen roch nach seinen Viceroys, obwohl erschon seit Jahren nicht mehr rauchte – seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr. Er musste die Jacke von weit hinten aus seinem Schrank geholt haben. Wir stiegen in seinen fast schon klassischen Oldsmobile 88 und machten uns auf den Weg nach Hause.
    »Ich dachte, du bleibst vielleicht ein, zwei Nächte bei mir. Bis du die Wohnung so weit klar hast.«
    Das traf mich unvorbereitet. Dein Hirn schrumpft im Gefängnis. Ich hatte an Essen gedacht und an Sex, daran, mit meinem Sohn zu einem Spiel der Yankees zu gehen, an den Geruch des Meeres und daran, wie es sein würde, in einem Raum zu schlafen, dessen Tür nicht verschlossen war. Aber den eigentlichen Themen war ich geschickt ausgewichen. Meiner Ehe. Der Arbeit. Dem Klein-Klein des alltäglichen Überlebens. Plötzlich schrien all die Dinge, an die ich keinen Gedanken verschwendet hatte, gleichzeitig nach meiner Aufmerksamkeit. Klaustrophobie machte sich in mir breit.
    »Vielen Dank, Paps, aber lieber nicht«, brachte ich schließlich heraus. »Lass mir ein paar Tage Zeit. Ich komme gern mal abends zum Essen zu dir.« Was ich nicht hinkriegte, war zu erklären, dass ich nach zwei Jahren ohne jegliche Privatsphäre einfach nur allein sein wollte. Wenigstens für eine Nacht.
    »Ich habe erstklassige Steaks besorgt. Frischen Spargel. Römersalat.«
    »Toll. Klingt toll. Freitagabend?« Der Gefängnisgestank hing mir noch in der Nase; bei jedem Einatmen drehte sich mir der Magen um. Ich versuchte, durch den Mund ein- und durch die Nase auszuatmen. Ganz allmählich wurde der Geruch schwächer.
    Er unterdrückte einen Seufzer. »Dann also Freitagabend.«
    »Danke, dass du mich verstehst«, sagte ich, wissend, dass es nicht so war.
    »Ich hab dir einen Black-and-White-Amerikaner mitgebracht.« Er reichte mir eine weiße Papiertüte. »Von Carla.«
    Worüber auch immer ich traurig war, Carlas Amerikaner konnten mich trösten. Als ich zehn war. »Danke. Nachher vielleicht.« Hunger hatte ich schon, aber ich fürchtete, ich könnte anfangen zu heulen, wenn ich in den Kuchen biss.
    »Ich dachte, wir nehmen die Interstate vierundachtzig bis Milford, dann die Route zweihundertsechs und dann die Fünfzehn runter zur Achtzig. Das ist eine schöne Strecke.«
    »Na ja. Besser wär die Route siebzehn zur Interstate siebenundachtzig und dann über die Tappan Zee Bridge«, sagte ich.
    »Über die Tappan Zee fahr ich überhaupt nicht gern. Wie wär’s damit: die vierundachtzig in die andere Richtung, bis rüber nach Brewster, und dann den Hutchinson River Parkway runter?«
    Jetzt tröstete er mich mit seinen Macken. Wenn es darum ging, am Sonntagmorgen einen halben Liter Milch zu holen, konnte er sich zunächst über vier unterschiedliche Wegstrecken zum nächsten 7-Eleven-Markt auslassen. Zu der Zeit, als meine Schambehaarung anfing zu sprießen, machte mich das wahnsinnig. Später, im College, ertappte ich mich selbst dabei. Noch später musste ich feststellen, dass meine Frau darüber fast verrückt wurde. Das stimmt nicht ganz. Meine Frau war schon, als ich sie kennenlernte, reichlich verrückt.
    »Weißt du, was schön wäre? Ich würde New York sehr gern von der George Washington Bridge aus sehen.«
    »Heute bestimmst du.«
    Eine Weile fuhren wir
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