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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters
Autoren: Robert Silverberg
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dem Stamm schweben, während sie in süd- und westlicher Richtung von Vengiboneeza davonzogen, aber Koshmars Geist war fort, ganz und gar verschwunden, und dies zu ertragen, das war sehr schwer.
    Keiner machte Taniane die Führung streitig, keiner zog seine eigene Stellung in Zweifel. Sie schritten an der Spitze des Stammes einher. Taniane erteilte die Befehle, doch sie beriet sich häufig mit Hresh, der an jedem Tag die Marschrichtung wählte. Es fiel ihm leicht genug, die Route aufzuspüren, denn wenn auch mehr als vier ganze Jahreszyklen verstrichen waren, seit Harruels kleine Horde hier dahingezogen war, so hing doch der Widerhall ihrer Seelen noch immer in den Wäldern, und mit ganz minimaler Unterstützung durch den Barak Dayir konnte Hresh sie mühelos hören und ihren Signalen folgen. Und nun, da sie das Waldland hinter sich ließen, benötigte er den Wunderstein gar nicht mehr, um Harruel zu finden. Das umdüsterte Herz des Königs dort drunten im Grasland strahlte eine grelle unüberhörbare Musik aus.
    »Nur noch ein kleines Stück«, sagte Hresh. »Ich fühle ihre Nähe rings um mich herum.«
    »Die der Hjjk?« fragte Taniane. »Oder die Harruels und seiner Leute?«
    »Beide. Die Hjjk in unendlicher Zahl, nördlich von uns. Und Harruels Stadt direkt vor uns, unterhalb von uns, dort in jener runden Vertiefung im Grasland. Genau in der Mitte, wo es dunkel ist von Vegetation.«
    Taniane starrte vor sich hin wie blind. Nach einiger Zeit sagte sie: »Besteht überhaupt Hoffnung auf Erfolg, Hresh? Oder sollen wir alle von diesen Insektenmillionen verschlungen werden?«
    »Die Götter werden uns schützen.«
    »Ach ja? Werden sie es wollen?«
    Hresh lächelte. »Ich habe sie alle einzeln befragt. Sogar Nakhaba.«
    »Nakhaba!«
    »Ich würde sogar den Gott der Hjjk anflehen, uns freundlich gesonnen zu sein, wenn ich seinen Namen wüßte. Und den Gott der Zinnobären. Den Gott der Wasserläufer, Taniane. Die Götter der Großen Welt. Den unbekannten, unenträtselbaren Allerschaffer, den Schöpfergott. Man kann gar nicht genug Götter auf seiner Seite haben.« Er ergriff sie an ihrem weichen Oberarm und zog sie eng an sich, so daß sie die Überzeugung erkennen konnte, die in seinen Augen glomm. Mit leiser Stimme sagte er dann: »Alle die Götter werden uns heute beschützen, denn was wir tun, tun wir auf ihr Geheiß. Aber seinen ganz besonderen Schutz wird uns Dawinno zuteil werden lassen, der eine ganze Welt entvölkert und vernichtet hat, auf daß wir sie als Erbe übernehmen können.«
    »Du scheinst dir da dermaßen sicher zu sein, Hresh. Ich wollte, ich könnte dies ebenfalls.«
    Sicher? Einen wilden Augenblick lang fühlte er sich von Zweifeln überwältigt und fragte sich, ob er wirklich auch nur ein Wort von dem glaube, was er da gesagt hatte. Die Wirklichkeit ihres Unterfangens, das sie sich da aufgeladen hatten, schien ihm auf einmal voll bewußt zu werden, und seine Willenskraft, die ihn bis hierher getragen hatte, schien zu erlahmen. Vielleicht kam dies von den Ausstrahlungen jener unzähligen Hjjk in weiter Ferne, die auf seine Seele niederprasselten. Oder aber es war einfach die plötzliche Erkenntnis, welch eine nie endenwollende Arbeit ihm bevorstehe, wenn er alles das leisten wollte, was zu erschaffen er sich erhoffte.
    Er schüttelte sich den Kopf frei. Nein, sie würden am heutigen Tage obsiegen – und an allen künftigen Tagen. Er dachte an seine Mutter, Minbain, dort unten in dem Grasland, und er dachte an Samnibolon, seinen Bruder, Harruels Sohn, der den Namen von Hreshs lange totem Vater in eine neue Ära hinübertragen sollte. Nein, er würde nicht zulassen, daß sie alle heute stürben.
    »Hier sollten wir das Lager aufschlagen«, beschied er Taniane. »Dann werden wir zwei allein weiter vorstoßen und die Verteidigungsmaßnahmen aufbauen.«
    »Aber wenn uns Feinde entdecken, und wir gehen zugrunde, während wir dort draußen alleine sind, wer wird dann den Stamm führen?«
    »Der Stamm hatte schon Anführer vor uns. Der Stamm wird auch nach unserem Tod Anführer finden können. Und außerdem, nichts wird uns an Übel geschehen, während wir tun, was wir tun müssen.« Hresh ergriff sie an beiden Armen, genau wie sie ihn am Todestag Koshmars gehalten hatte, und verströmte Kraft in sie hinüber. Tanianes Schultern strafften sich, ihre Brust hob sich heftiger mit ihrem volleren Atem. Dann lächelte sie und nickte. Sie wandte sich um und gab das Zeichen, das Volk möge anhalten und hier
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